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10.03.2016 Piper PA-34-T (Seneca) Osnabrück; Absturz


Empfohlene Beiträge

Geschrieben (bearbeitet)

Na ja, ob es nun wirklich ein "Absturz" war, oder eher eine mißglückte Notlandung, muß sich noch herausstellen. Der Flieger sieht ja ganz schön lädiert aus, aber daß alle 4 Insassen überlebt haben, spricht für Letzteres.

Bei aviation-safety.net ist von einem Motorproblem nach dem Start die Rede (https://aviation-safety.net/wikibase/wiki.php?id=185279). Ein solches müßte dann aber schon zufällig beide Triebwerke gleichzeitig betroffen haben, denn eine PA-34-220T sollte mit 4 Insassen und normaler Gepäckzuladung mit 1 intakten Motor zumindest in der Luft bleiben können (bei den gegenwärtigen Temperaturen sollte sogar langsames Steigen möglich sein :o). Ein beidseitiges Problem würde aber eher auf unzureichende Spritversorgung schließen lassen, als auf einen Defekt an den Triebwerken.

Die Stellung von Schnauze und Motorgondeln des Wracks lassen schwer vermuten, daß der finale  Bodenkontakt mit negativer pitch-attitude erfolgte, wie nach einem Kontrollverlust.

 

Gruß

Manfred

Bearbeitet von DaMane
Geschrieben

Der linke Propeller ist relativ intakt. Sieht nicht so aus, als hätte er sich bei Bodenkontakt mit Leistung gedreht. 

 

Vom rechten Prop, der sich offensichtlich vom Motor gelöst hat, gibt es ein einzelnes Bild. Da er halb im Gras liegt ist auch nur ein Blatt wirklich zu sehen - dieses ist bis auf leichte Verbiegen auch noch intakt. Auch das spricht nicht dafür, dass er sich der Prop bei Bodenberührung mit Leistung gedreht hat.

 

Allerdings kann man natürlich nicht sagen, ob sich auf Grund von Kraftstoffproblemen bzw. Fehlbedienung (kann einer der Seneca-Piloten hier etwas zu den Tankwahlschaltern/ dem Fuelsystem sagen?) die Motoren schon im Flug verabschiedet haben, oder ob der Pilot sie ganz nach Checkliste abgestellt hat, nachdem eine Aussenlandung unvermeidbar war...

 

Florian

Geschrieben

kann einer der Seneca-Piloten hier etwas zu den Tankwahlschaltern/ dem Fuelsystem sagen?

 Florian

Die Seneca III, um die es hier geht, hat zwei identische Tankwahlschalter, je einen für jeden Motor. Jeder Schalter hat drei Stellungen: ON (Kraftstoff wird aus der Tragfläche gefördert, an der der Motor hängt), OFF (Kraftstoffzufuhr ist unterbrochen), CROSS-FEED (Kraftstoff wird aus der gegenüberliegenden Tragfläche gefördert, d.h. aus dem anderen Flügel). Für den Start müssen beide Tankwahlschalter auf ON stehen. Die elektrischen (Hilfs-)Pumpen müssen bei der Seneca III für den Start – im Gegensatz zu vielen anderen Modellen von Piper – ausgeschaltet sein. Im Reiseflug wird eine der ersten Massnahmen bei stotterndem Motor sein, die elektrische Pumpe des betroffenen Motors einzuschalten. Bei Motorausfall gleich nach dem Start wird man eher dazu tendieren, den Problemmotor sofort abzuschalten und die Propeller in Segelflugstellung zu bringen, um schnellstmöglich den hohen Luftwiderstand des leer drehenden Propellers zu minimieren. Andernfalls riskiert man, dass die Geschwindigkeit soweit sinkt, dass man die Kontrolle verliert (vMCA).

 

Das Fuel Tank System der Seneca ist relativ einfach: es gibt in jedem Flügel einen Tank, und das wars. Als Option kann man Zusatztanks in den Motorgondeln verbauen lassen. Deren Inhalt kann nur in die Haupttanks umgepumt werden, und zwar sobald in den Haupttanks genügend Platz ist; eine direkte Zuführung zum Motor ist nicht möglich.

 

Zur möglichen Zuladung: mit einer typischen IFR- und De-Ice Ausstattung hat eine Seneca III eine Leermasse (BEM) von 3'400-3'500 lbs. Eine volle Tankladung von 123 USG zu 6 lbs/gal wiegt 738 lbs. Wegen der Airway-Gebühren werden Senecas im Gebiet der Eurocontrol zumeist mit einer Maximalmasse von 4'407 lbs zugelassen, die Leistungsdaten wurden jedoch bei der III mit einer MTOM von 4'750 lbs ermittelt. Es bleibt eine maximale (strukturelle) Nuzlast von ca. 550 lbs = 250 kg (legal sogar nur 200 lbs = 90 kg). Wenn die Tanks voll sind, dürfen also nicht vier Erwachsene an Bord sein, sondern nur drei (resp. streng genommen nur einer). Bei der Unfalluntersuchung wird selbstverständlich die (kleinere) Gesamtmasse gemäss Zulassung herangezogen, und die wird hier 4'407 lbs sein. Ob die Tanks voll waren oder nicht, wissen wir derzeit nicht.

 

Zur Performance: Falls der Pilot nach dem Ausfall eines Motors alles richtig macht und die Motoren ihre Nominalleistung bringen, erreicht die Seneca III mit T/O Power und 4'750 lbs Startmasse bei ISA-Bedingungen auf Meereshöhe gemäss Handbuch eine Steigrate von 240 fpm. Mit Maximum Continuous Power (nach fünf Minuten) reduziert sie sich auf 200 fpm. Dank Turbolader reduziert sich die Leistung auf den ersten paar tausend Fuss gar nicht (kritische Höhe 14'500 ft) und die Steigrate nur wenig. Wenn es kälter ist als ISA, muss der Ladedruck reduziert werden, so dass die zertifizierte Leistung nicht ansteigt. Der erlaubte Ladedruck für den Startlauf unter ISA-Bedingungen ist maximal 40 Zoll, das Overboost Schutzventil öffnet jedoch erst bei 42 Zoll. Im Notfall hat man also zusätzliche Leistung zur Verfügung, die der Motor auch einige Minuten aushalten sollte. Kältere Luft hilft auch, sowohl für die Motorleistung als auch für den Auftrieb, aber nicht für die Steuerbarkeit bei asymmetrischem Schub (Minimum Control Speed steigt). Allerdings ist es so, dass die Motoren mit ihren Fixed Wastegate Turbos beim Start und beim Setzen von Steigleistung leicht überladen, wenn man nicht aufpasst. Dieser Overboost bekommt ihnen schlecht, weshalb viele Seneca-Motoren die empfohlene TBO von 1'800 Stunden nicht erreichen, weil sie vorher "ausgelutscht" sind.

 

Die Bahn in Osnabrück-Atterheide liegt auf 287 ft AMSL und ist 800m lang ohne hohe Hindernisse in der unmittelbaren Umgebung. Das reicht locker für eine Seneca. Die Situation müsste eigentlich nach einem Motorausfall zu retten sein, sofern der verbleibende Motor die geforderte Leistung bringt, der Pilot richtig und rechtzeitig reagiert, die Maschine nicht überladen ist und keine weiteren gravierenden Probleme auftreten. Eine dieser Bedingungen war offensichtlich in diesem Fall nicht erfüllt. Zu bedenken ist weiter, dass leichte zweimotorige Propellerflugzeuge nach US Part 23 resp. EASA CS-23 zertifiziert werden. Eine positive Steigrate bei Motorausfall ist nicht in jeder Flugphase gefordert, sondern nur auf 400 ft AFE und 1'500 ft AFE. Ein Motorausfall unter 300 ft AFE wird nicht angenommen, dass Verhalten bei einem Motorausfall kurz nach dem Abheben ist mithin offiziell unbekannt...

 

Die Absturzstelle liegt relativ nahe am Platz, aber weit weg von der Pistenachse. Das deutet darauf hin, dass nur ein Motor ausgefallen ist und das Flugzeug hernach vom Kurs abgekommen ist. Dass beim Aufprall trotzdem beide Motoren wenig oder keine Leistung abgeben, ist z.B. dann der Fall, wenn der Pilot bewusst die Leistung des "guten" Motors reduziert, um die Kontrolle über die Lage und Flugrichtung nicht zu verlieren. Fällt nämlich beim Steigflug in einer leichten Twin plötzlich ein Motor aus, muss der Pilot blitzschnell den Anstellwinkel reduzieren, damit die Geschwindigkeit nicht unter vMCA fällt. Andernfalls muss die Leistung reduziert werden, will man nicht unkontrolliert abstürzen. Das Flugzeug sinkt dann zwar, aber man hat eventuell noch die Chance einer kontrollierten Notlandung, wenn man die Nase nachdrückt, um wieder Geschwindigkeit aufzunehmen.

 

Martin

Geschrieben

 

Andernfalls muss die Leistung reduziert werden, will man nicht unkontrolliert abstürzen.

Ein Detail das nicht unbedingt überall gelehrt wird... Und in vielen Turboprops sogar aktiv von einer Automatik verhindert wird (automatisches uptrim, guter Motor geht sogar auf über 100%). Aber ganz wichtig. Besser Gas raus und kontrolliert auf ein Feld als eine Rolle fliegen....

 

Hat die Seneca III Vergasermotoren? Temperatur und Feuchtigkeit an dem Tag würden für Vergaservereisung passen, aber eher nicht beim Start.

 

Gruß

Ralf

Geschrieben (bearbeitet)

...........................

 

Hat die Seneca III Vergasermotoren? Temperatur und Feuchtigkeit an dem Tag würden für Vergaservereisung passen, aber eher nicht beim Start.

 

Gruß

Ralf

Der verunglückte Flieger hatte m.W. die Typenbezeichnung PA-34-220T . Die 220 steht nach Piper-Tradition für horsepower, und das T für turbo-charged . Sie mußte  demnach Einspritzer haben.

Also alles gar nicht schlecht für eine Seneca.

 

Gruß

Manfred

Bearbeitet von DaMane
Geschrieben

Alle Senecas haben Einspritzer, alle ausser der Seneca I haben Turbos. Einige 1er Senecas sind mit Rajay Aftermarket Turbos nachgerüstet.

  • 8 Jahre später...
Frank Holly Lake
Geschrieben

https://www.fliegermagazin.de/wissen/motorausfall-beim-start-doppelt-haelt-nicht-besser/

 

Unmittelbar nach dem Rotieren bemerkt der Pilot, dass das linke Triebwerk kaum noch Leistung produziert.

Der Flugzeugführer entscheidet sich, den Flug in diese Richtung fortzusetzen, auch wenn die Platzrunde in die andere Richtung verläuft.

Schnell merkt er, dass die verbleibende Triebwerkleistung nicht mehr ausreicht, um die Höhe zu halten. Nach einer weiteren Linkskurve bleibt ihm nur die Bruchlandung auf einer Brachfläche in Flugrichtung, die glücklicherweise 100 Fuß tiefer als der Flugplatz liegt.

 

Warum das linke Triebwerk unmittelbar nach dem Abheben an Leistung verlor ist unbekannt..

Dazu wurde das Aggregat nach dem Unfall in einem Prüfstand wieder in Betrieb genommen. Abgesehen von einer durch den Aufprall beschädigten Kurbelwelle und einem defekten Magneten lief der Motor einwandfrei.

Ein mechanisches Problem war also offenbar nicht die Ursache. 

Ein Spritversorgungsproblem konnte wegen des völlig zerstörten Tanks nicht mehr ermittel werden.

Dabei stellten sie fest, dass im Kraftstoffverteilerventil des linken Triebwerks zum Zeitpunkt des Unfalls kein Kraftstoff vorhanden war. Der Grund hierfür ließ sich nicht zweifelsfrei feststellen.

 

Die Geschwindigkeit für die beste Steigrate mit einem Motor (Vyse) beträgt bei der Seneca 92 Knoten. Diese wurde jedoch nie erreicht und die Geschwindigkeit während des kurzen Flugs betrug nach dem Leistungsverlust nur zwischen 63 und 74 Knoten über Grund.

 

Die geringe Fahrt dürfte auch dazu geführt haben, dass der Propeller des ausgefallenen Triebwerks schnell zum Stillstand kam und die so genannten »Start Locks« einrasteten. Sie verhindern, dass der Propeller beim regulären Abschalten des Triebwerks in Segelstellung geht. Sind die Locks einmal eingerastet, ist es unmöglich, die Luftschraube in diese Segel Stellung  bringen, wodurch die Flugleistung der PA-34 massiv beeinträchtigt war. 

 

Der Pilot gab außerdem an, dass er nach dem Abheben das Fahrwerk nicht einfahren konnte, der Grund ist unbekannt.

 

Die BFU kritisiert außerdem, dass vom Piloten kein Briefing durchgeführt wurde, in dem er sich Gedanken um mögliche Notfälle während des Startlaufs und geeignete Notlandemöglichkeiten machte.

 

So hätte es südlich des Platzes großzügige Notlandeflächen gegeben, wohingegen die Linkskurve nach dem Start die Piper über bewohntes Gebiet führte. Das Flughandbuch gibt für den Fall eines Triebwerkausfalls außerdem vor, mit drei bis fünf Grad Querneigung in Richtung des noch funktionierenden Motors zu fliegen, also nach rechts, was beim Unfallflug möglicherweise ebenfalls nicht erfolgt ist.

 

Dennoch zeigt der Vorfall, wie wichtig es ist, sich vor jedem Start einen »Plan B« für den Fall des Triebwerkausfalls zurechtzulegen und den vom Hersteller vorgegebenen Verfahren zu folgen. Denn auch wenn der Pilot alles richtig gemacht hätte, wäre die Steigleistung der Seneca mit einem Triebwerk sehr gering gewesen.

 

Zusammengefasst:

-TW Leisungsverlust unter Minnimum Controlspeed für Singel Engime.

-Keine Plan wenn das TW ausfällt

-Zu viel Schräglage bei TW Ausfall

 

Grüße Frank

  • 2 Monate später...
Geschrieben (bearbeitet)
Am 3.10.2024 um 01:32 schrieb Frank Holly Lake:

.............................

 

Zusammengefasst:

-TW Leisungsverlust unter Minnimum Controlspeed für Singel Engime.

-Keine Plan wenn das TW ausfällt

...........................

Bei korrekter Anwendung des Startverfahrens*) mit mehrmotorigen Flugzeugen wird die VseMCA während eines Fluges nur 2 mal gekreuzt:

 

a) beim Beschleunigen während des Startlaufes

b) beim Ausrollen nach der Landung

 

Beides findet am Boden statt, wo VseMCA naturgemäß irrelevant ist.

Der Sinn und Zweck liegt darin, daß man sich bei einem TW-Ausfall im Fluge immer oberhalb dieses kritischen Limits befindet. 

 

(Ausnahme: sobald eiine Landung soweit sichergestellt ist, dass keine TW-Energie mehr benötigt wird, kann die VseMCA natürlich schon früher unterschritten werden, z.B. im Flare....)

 

*) solche Verfahren sind konzeptionsbedingt, und unterscheiden nicht zwischen Privat- und Berufspiloten. Höchstens zwischen Amateuren und Profis. 😉

 

Am 3.10.2024 um 01:32 schrieb Frank Holly Lake:

.........................

-Keine Plan wenn das TW ausfällt

-Zu viel Schräglage bei TW Ausfall

 

Grüße Frank

 Zu Plan A wie oben beschrieben, gibt es keine vernünftige Alternative.

 

Schräglage bei TW-Ausfall ist kein Thema, solange zum ausleveln genug Abstand zum Boden vorhanden ist, und man sich korrekt oberhalb der VseMCA bewegt.

 

Gruß

Manfred

Bearbeitet von DaMane

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