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Gerichtsurteil: AGB zu nicht-flexiblen Tickets sind unwirksam


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Geschrieben

Ein hochinteressantes Urteil des Landgerichts Frankfurt:

 

Bei Kündigung des Bevörderungsvertrags durch den Kunden (= stornieren eines Flugtickets) stehen der Airline nur die nachweislich tatsächlich entstandenen Kosten zu, alles andere ist zurückzuerstatten. Die Nachweispflicht liegt bei der Airline. Allgemeine Geschäftsbedingungen die etwas anderes sagen (also nichtflexible Tickets enthalten, die nicht storniert werden können) sind unwirksam !

Sprich: wenn nicht nachweislich der ursprünglich gebuchte Sitzplatz leer bleibt, kann die Airline nur minimale Bearbeitungsgebühren einbehalten. Es dürfte in der Praxis aber völlig unmöglich sein, das nachzuweisen. Wie bitte will eine Airline wenn ein Platz freibleibt nachweisen, dass dieser von dem klagenden Kunden mit unflexiblem Ticket, der einen Monat vor dem Flug gekündigt hat stammt, und nicht von einem Kunden mit vollflexiblem der einfach nicht erschienen ist...

Also werden wir wohl auch in Zukunft noch einige weitere Einzelfallurteile erleben...

 

Grundsätzlich bleibt aber die Erkenntnis: Eine Airline kann sich nicht einfach AGB stricken wie sie will, auch für Airlines gelten allgemeine Rechtsgrundsätze wie Verhältnismäßigkeit, Kündbarkeit von Verträgen, Zumutbarkeit etc.

So wie kürzlich bei den Lebensversicherungen wird immer klarer: wer einen Vertrag einseitig kündigt muss nur die tatsächlich, nachweislich entstandenen Kosten erstatten, den Rest darf er zurückfordern. Knebelverträge sind unwirksam.

 

Da stellt sich die Frage, wie lange Airlines wohl noch mehrere 100% Aufschlag für kündbare Tickets verlangen werden, wenn im Prinzip alle Tickets kündbar sind ? Also wohl ein weiterer Schritt in Richtung Ticketpreisen die die Kosten des Flugs abbilden. Gut so.

 

Gruß

Ralf

Geschrieben (bearbeitet)

Bevor hier Jubelstürme ausbrechen:

 

Wer das Urteil liest wird feststellen, dass das LG Frankfurt die Hürde für den Nachweis extrem niedrig gelegt hat:

 

dass ein Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit einer vollen Auslastung seiner Fluggeräte kalkuliert, war vorliegend davon auszugehen, dass die Beklagte die von der Klägerin am 5.9.2011 gebuchten Flugtickets nach der Stornierung an Dritte zu einem Entgelt weiterverkaufen konnte 

 

 

 

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wenn die Fluggesellschaft nur dargelegt hätte, dass auf dem Flieger noch ein Platz in der gebuchten Klasse freigeblieben ist, dann hätte das dem Gericht wahrscheinlich schon als "Nachweis" gelangt. Die beklagte Fluglinie hat sich nur überhaupt nicht zur Auslastung der Maschine geäußert.

 

Das eine Nachweispflicht bei der Airline liegen würde ist offensichtlich falsch zitiert. Im Urteil, dass sich mit dieser Frage relativ ausführlich beschäftigt (da wurde offensichtlich ein Referendar in die Bibliothek geschickt ;-)), ist klar dargelegt und unbestritten, dass die Nachweispflicht beim Kunden liegt. Da dieser jedoch ...

 

... jedoch regelmäßig keinen Einblick in die Betriebsinterna des Unternehmers hat, ist dem Unternehmer im Wege der sog. sekundären Darlegungslast zuzumuten, seine ersparten Aufwendungen bzw. anderweitig erzielten Erlöse für den konkreten Fall darzulegen und zu beziffern 

 

 

Das heisst, der Unternehmer muss nur darlegen, nicht beweisen, dass er den Platz nicht anderweitig verkaufen konnte. Ein freier Platz in derselben Klasse wird i.A. für diese Darlegung ausreichen. Es läge am Kunden, zu beweisen, dass aber das Ticket des Kunden dennoch verkauft wurde, nur ein anderes Ticket (wichtig: Es geht um das Ticket, nicht um die Platzreservierung) nicht verkauft wurde. Das wird dem Kunden aber regelmäßig nicht gelingen.

 

Auch das mit den "nachweislich Tatsächlich entstandenen Kosten" ist unpräzise: Das ganze Urteil stellt nicht auf die Kosten sondern auf den Reisepreis ab - entgangener Gewinn muss natürlich auch nicht zurück erstattet werden, wenn die Airline darlegen kann, dass sie sich diesen Gewinn nicht von einem anderen Kunden geholt hat.

 

 

In Summe ist das Urteil auffallend wenig überraschend! Nicht mal die Fluglinie hat ja argumentiert, dass sie die Erstattung nicht leisten muss! Ihre Argumentation war augenscheinlich, dass sie den Reisepreis durch Verrechnung mit einer anderen Buchung sehr wohl erstattet hat - und hierzu hat das LG festgestellt, dass aus einigen recht formalen juristischen Gründen eine solche Aufrechnung nicht wirksam erfolgt ist. Auf eine Vielzahl anderer Fälle läßt sich das wahrscheinlich nicht übertragen...

 

Florian

Bearbeitet von Chipart
Geschrieben

Ja, ich sage ja dass es in der Praxis schwerlich nachzuweisen wird, ob nun tatsächlich der Airline ein Gewinn entgangen ist, oder nicht. Wobei ich schon denke, dass die Airline nur die Kosten des leeren Sitzplatzes (also bei einer CRJ 700 1/70 der Gesamtkosten des betreffenden Flugs), zuzüglich der durch die Buchung und Stornierung entstandenen Verwaltungskosten und Gebühren verlangen kann, nicht aber den potentiellen Gewinn den sie hätte erzielen können, wenn sie ausgerechnet diesen Sitzplatz in der besten Buchungsklasse hätte losschlagen können. Angesichts der geringen Gewinnmargen, müssten wir im Prinzip um praktisch den selben Betrag reden.

Allein die Tatsache, dass ein Platz freigeblieben ist dürfte aber allenfalls ausreichen, wenn die Airline zeigen kann, dass dieser Flug üblicherweise voll ausgebucht ist, was ihr wiederum längst nicht auf allen Strecken gelingen wird. Es ist allgemein bekannt, dass die Durchschnittsauslastung deutlich unter 100% liegt, es also normal ist, wenn Sitzplätze freibleiben. Sie wären sowieso nie verkauft worden, also kann die Airline hier schwerlich einen entgangenen Gewinn anbringen.

 

 

In Summe ist das Urteil auffallend wenig überraschend!

Naja, das Urteil stellt halt richtig, das die Standardbemerkung "nicht erstattbar" eben nichts mit der Rechtslage zu tun hat. Jedes Ticket ist erstattbar, es ist immer die Frage der Umstände. AGBs die generell eine Erstattung ausschließen (und das ist heute üblicherweise der Fall, und trifft auf einen Großteil der Tickets zu) sind unwirksam.

Bei einem no-show sieht es natürlich da völlig anders aus, als wenn man sein Ticket zu einer Zeit storniert, zu der noch 50% des Flugzeugs verfügbar ist (sprich: man noch niemanden mit seiner Reservierung daran gehindert hat, ein Ticket zu kaufen). Im Prinzip müsste allein ein Ausdruck von der Buchungsseite mit dem Hinweis "In dieser Buchungsklasse sind noch 5 Plätze verfügbar" vom Stornierungstag dafür ausreichen nachzuweisen, das man der Airline keinen Gewinn vorenthalten hat. Jeder der den betreffenden Platz hätte buchen wollen hätte es jederzeit gekonnt, man hat der Airline nichts weggenommen. Bei dieser Argumentation ist man natürlich vor Gericht wohl sprichwörtlich in Gottes Hand, denn die Airline mag argumentieren, man hätte 6 Plätze an eine Großfamilie oder einen Kegelclub verkaufen können...

Von daher wird ein Vollflexibles Ticket auch weiterhin mehr Freiheiten bieten, als ein im gesetzlichen Rahmen stornierbares, das unter der irreführenden Bezeichnung "nicht erstattbar" verkauft wird, und damit auch immer einen höheren Preis rechtfertigen. Aber eben alles in einem nachvollziehbaren und im Zweifelsfalle vor Gericht als verhältnismäßig und zumutbar darlegbaren Rahmen.

 

Gruß

Ralf

Geschrieben

Lieber Ralf,

 

nein, genau das gilt nicht und das hat das Urteil auch nicht gesagt!

 

Wie das Urteil (das auch wenn am Anfang etwas sperrig da es zunächst um die Frage geht, ob deutsches Recht überhaupt einschlägig ist durchaus lesenswert ist) ist auch der Kunde zunächst einmal verpflichtet, seinen Teil des ja geschlossenen Vertrages zu leisten, als das Geld zu bezahlen.

 

Der Anbieter hat "lediglich" die in zumutbaren Massen die Pflicht, Schaden vom Kunden abzuwenden, z.B. in dem er Versucht, das Ticket anderweitig zu verkaufen. Diese Pflicht geht aber nicht so weit, dass er sich selber damit implizit schädigen muss, indem er dem nächsten Kunden der eine Reise bucht zunächst das zurückgegebene Ticket verkauft und die ohnehin noch unverkauften Plätze für sich behält.

 

Um es anhand deines Beispiels klar zu sagen: Wenn bei Stornierung Deines Tickets noch 5 Plätze frei waren (also nach Deiner Stornierung 6 Plätze) und die Fluglinie bis zum Abflug noch 5 Plätze verkauft, dann ist der Schaden der durch Deine Stornierung entstanden ist zumindest dem Anschein nach nicht beseitigt und Du bekommst kein Geld zurück - es sei denn, Du kannst nachweisen (und hier bist wie das Gericht ausgeführt hat wirklich Du in der Nachweispflicht) dass einer dieser 5 neuen Paxe nicht gebucht hätte, wenn Du Dein Ticket nicht storniert hättest - z.B. weil Du den letzten Fensterplatz hattest und dieser Pax nachweislich nur einen Fensterplatz buchen wollte. 

 

Und gerade weil die tatsächliche Utilization selten 100% ist kann die Airline immer entgangenen Gewinn nachweisen! Du darfst das nicht damit vergleichen, dass Du gar nicht erst gebucht hättest, sondern damit, dass Du Deinen Teil des Vertrages erfüllst! 

 

§649 BGB sagt das relativ deutlich:

 

 

Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen. Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

 

Daraus kann man das für diesen Fall relevante sogar fast wörtlich rausnehmen (und auch das LG-Frankfurt hat das so getan):

1. Der Kunde schuldet beim Rücktritt trotzdem die vereinbarte Vergütung.

2. Dagegen wird zunächst nur das gerechnet, was der Unternehmer durch den Rücktritt wirklich eingespart hat. Beim Flugticket sind das die ganzen Gebühren, die bei Nichtantritt des Fluges von der Airline auch nicht zu bezahlen sind und evtl. die Kosten für Essen und Trinken - wobei da schon fraglich ist, ob die Airline tatsächlich etwas Bezifferbares spart.

3. Dazu muss der Unternehmer sich anrechnen lassen, "was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft" erwirbt - also genau wenn er diese Ticket noch an jemand anderes verkaufen kann - nicht her, wenn er diesen Teil seiner Arbeitskraft nicht auslasten kann.

 

Insbesondere - und das ist für diesen Fall entscheidet - geht es nicht darum, welche Zusatzkosten der Fluglinie entstanden sind, weil sie erst mit dem Pax gerechnet hat, dieser jetzt aber doch nicht kommt. Es geht nur darum, welche Kosten nach der Kündigung noch vermeidbar sind.

 

Florian

Geschrieben

Wobei es sehr sehr tricky für die Airline wird, nachzuweisen dass man nicht "böswillig unterlassen" hat den Sitz doch noch zu verkaufen, wenn man ihn mir dereinst (3 Monate vor dem Flug) für €600 verkauft hat, nach meiner Kündigung (3 Wochen vor dem Flug) jedoch versucht hat für €3000 an den Mann zu bringen, was dann nicht funktioniert hat. Hat die Airline dann "bösartig unterlassen" zu versuchen, den Platz für den Preis loszuschlagen, für den ich ihn dereinst gekauft habe? Denn 3 Wochen vor dem Flug für €600 wäre er ja todsicher noch weggegangen...

Was passiert den umgekehrt, wenn die Airline den Flug den ich ihr dereinst für €600 blockiert habe, doch noch für €3000 losschlagen kann? bekomme ich dann €3000 zurück? Muss die Airline sich das "anrechnen lassen" was sie durch anderweite Verwendung des Sitzplatzes erwirbt?

Und was, wenn die Airline den Sitzplatz benutzt, um einen Deadhead zu transportieren oder einen anderweitig gestrandeten Passagier (ohne Einnahmen) stattdessen mitnimmt?

 

Es wäre mal interessant zu sehen, wie bei vergleichbaren Streitfällen in der Hotelbranche verfahren wird, wo man ja auch kaum von einem "Werk" sprechen kann, das vollendet wird. Denn die Kosten entstehen ja nur zu einem Bruchteil durch "Arbeitskraft". Die Größe der Besatzung ist i.d.R. gesetzlich vorgeschrieben, da kann man nichts einsparen wenn einer weniger mitfliegt. Aber Sprit spart man offensichtlich anteilig ein (da man ihn ja bei Übergepäck auch anteilig mehr verbraucht), der müsste ja auch angerechnet werden. Bei Essen und Trinken vermute ich auch eine nicht bezifferbare "Einsparung", man bezahlt ja nicht das Brötchen oder das Glas Wein, man bezahlt die Bereitstellung, Anlieferung, Durchleuchtung etc. und das ist alles nicht abhängig davon, ob ich nun 149 oder 150 Essen anliefere. Obwohl es formal bestimmt so intern abgerechnet wird. Wegen einer Person wird auch nicht eine ganze Flasche Wein weniger eingeplant.

 

Jedenfalls veranschaulicht es die Absurdität des Preissystems, wenn man es mit den Gesetzestexten vergleicht. Denn Geld und "Werk" bzw. "Vergütung" und "Aufwendung" haben praktisch keine bestimmbare Relation.

 

Wäre auch interessant, was passiert wenn man der Airline einen Ersatzpassagier präsentiert (Analog zur verkürzten Kündigungsfrist, wenn man einen Nachmieter präsentiert). Sowas könnte man glatt als Geschäftsmodell etablieren...

 

Gruß

Ralf

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