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NZZ23.9.2011: Harry Hohmeister - Ohne Wachstum können wir nicht investieren (Auszug)


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Der Swiss-Chef Harry Hohmeister nimmt Stellung zu den Flughafen-Vorlagen vom 27. November

 

Ein Pistenausbauverbot, über das im Kanton Zürich am 27. November abgestimmt wird, gefährde den Hub am Flughafen Zürich, sagt der Swiss-Chef Harry Hohmeister warnend. Die Swiss würde den Flottenausbau ab 2014 wohl stoppen.

 

Herr Hohmeister, der Swiss läuft es gut - kann man daraus schliessen, dass Sie mit den derzeitigen Rahmenbedingungen am Flughafen Zürich gut zurechtkommen?

 

Grundsätzlich können wir sehr zufrieden sein mit der Qualität und der guten Zusammenarbeit mit dem Flughafen hier in Zürich. Aber die regulativen Bedingungen, vor allem die zeitlichen, schränken uns stark ein. Die Kapazitäten reichen für den heutigen Anspruch aus. Die Frage ist, wie lange noch.

 

Welche der regulativen Beschränkungen ist für Sie besonders störend?

 

Die Nachtflugsperre von 23 bis 6 Uhr. Es gibt kein Drehkreuz in Europa, das derart gravierende Beschränkungen hat. Mit grossen Anstrengungen haben wir uns damit arrangiert, aber letztes Jahr sind wegen des Nachtregimes immerhin 2500 Passagiere in Zürich hängengeblieben. Es braucht eine schweizweite Regelung, zum Beispiel eine Sperre von 24 bis 6 Uhr. Wenn wie heute manche Flüge wegen der verschärften Nachtruhe in Zürich nach Basel oder Genf umgeleitet werden, dann fängt eine Diskussion darüber an, dass der Lärm einfach exportiert wird.

 

Die Nachtruhe ist in einem dichtbesiedelten Gebiet ein wichtiges Gut.

 

Natürlich haben wir dafür Verständnis. Deshalb sage ich ja, dass eine Sperre von 24 bis 6 Uhr handhabbar wäre. Die heutige scharfe Nachtsperre ist aber zu eng gesteckt und in einem gewissen Sinne auch egoistisch. In anderen Airports wie Hongkong oder Peking müssen unsere Flugzeuge um 2 Uhr in der Nacht starten, um im passenden Zeitfenster hier hereinzukommen. Der Flieger aus Johannesburg muss Umwege fliegen, um am Morgen nicht zu früh in Zürich anzukommen - das ist auch ökologisch bedenklich. Als Airliner sind wir Teil der Gesellschaft und müssen uns anpassen. Anpassungswille ist viel da, deshalb investieren wir in leisere Flugzeuge. Aber die Anpassungsmöglichkeiten sind beschränkt, wir bewegen uns am Limit. Wenn noch weitere Einschränkungen erfunden werden, können wir das Drehkreuz Zürich nicht mehr aufrechterhalten.

 

Ein grosses Thema ist die Stundenkapazität, die Anzahl Starts und Landungen, die in einer Stunde bewältigt werden können. Wenn Sie vorausblicken auf die Jahre 2015, 2020: Reicht dann die Kapazität in den Spitzenzeiten noch aus?

 

Nein. Die jetzige Kapazität reicht aus bis 2014 oder 2015. Dann ist der Flughafen in den Spitzenzeiten voll. Heute können in Zürich maximal 66 Flugbewegungen pro Stunde abgewickelt werden, bei vergleichbaren Hubs wie Kopenhagen oder Wien sind es bereits um die 80. Von den Kapazitäten her steht Zürich also heute schon an der letzten Stelle.

 

Wie gross sollte die Stundenkapazität nach 2015 sein, damit die Nachfrage abgedeckt werden kann?

 

Für die Swiss rechnen wir bis 2025 mit 4 bis 6 Prozent Passagierwachstum, das sind etwa 3 Prozent mehr Flugbewegungen pro Jahr. Damit unsere Zukunft nach 2015 gesichert ist, brauchten wir langfristig eine Stundenkapazität in der Grössenordnung 80. Sonst werden wir in zehn Jahren nicht mehr wettbewerbsfähig sein.

 

Damit wecken Sie bei vielen Leuten die Angst vor ungebremstem Wachstum, vor mehr Fluglärm.

 

Diese Angst ist unbegründet. Wir streben nicht 450 000 Flugbewegungen pro Jahr an, und wir planen keinen Megahub wie in Paris, Frankfurt oder Dubai. Dafür würde der Heimmarkt gar nicht ausreichen. Aber wir müssen uns entwickeln können in eine Grössenordnung, die Kopenhagen und Wien heute schon haben.

 

Wie soll innerhalb des bestehenden Start- und Landepistensystems die Kapazität erhöht werden?

 

Die Startpiste 28 sollte verlängert werden, damit bei jedem Wetter nicht nur Kurzstrecken-, sondern auch Langstreckenflugzeuge landen können. Damit könnte der Verkehr effizienter abgewickelt werden. Zusätzlich braucht es Schnellabrollwege, damit die Pisten schneller frei werden. Um das System zu vereinfachen, müsste dazu noch das heutige Luftkarussell abgeschafft werden. In Zürich fliegen alle Flugzeuge nach dem Start eine Linkskurve. Das hat betriebliche und historische Gründe, soll aber auch den Lärm verteilen. Wir sollten geradeaus starten können und das System nicht unnötig komplizieren, auch bei den Südstarts.

 

Mit Südstarts geradeaus eröffnen Sie eine neue Kampfzone: Die Südschneiser werden wieder auf die Barrikaden gehen.

 

Wie gesagt ist das heutige Luftkarussell unsinnig - und auch nicht optimal bezüglich Sicherheit. Mit den Südstarts können wir Flexibilität gewinnen und die Sicherheit sowie die Pünktlichkeit verbessern. Das muss das oberste Ziel sein.

 

Die Swiss wirbt mit einer gross aufgezogenen Kampagne für ein doppeltes Nein zu den Flughafen-Vorlagen vom 27. November - die Angst muss gross sein.

 

Angst haben wir nicht, aber wir müssen den Leuten erklären, dass diese Vorlagen unnötig sind. Wer zweimal Nein stimmt, beschliesst nicht automatisch den Ausbau des Flughafens, da Pistenveränderungen vom Stimmvolk bewilligt werden müssen. Die beiden Vorlagen dagegen würden kommende Generationen entmündigen. Wir würden heute festlegen, dass unsere Kinder und Enkel gar nicht mehr über einen Ausbau entscheiden könnten.

 

Dafür hätten im Falle einer Annahme der Behördeninitiative alle Beteiligten Planungssicherheit - der Rahmen wäre gesteckt.

 

Wenn Planungssicherheit darin besteht, dass man gar nichts mehr planen kann, bedeutet das Stillstand. Und das bedeutet für mich, dass wir am Standort Zürich nicht mehr investieren können. Die Zürcher dürfen bei dieser Abstimmung nicht vergessen, dass der Flughafen und der Standort Zürich in internationalem Wettbewerb stehen. In Deutschland, wo die Flughäfen Frankfurt, München und Berlin massiv ausgebaut werden, würde sich mancher ins Fäustchen lachen, wenn sich die Schweizer selbst beschränken.

 

Befürworter der Behördeninitiative sagen, es brauche nicht so viele Transitpassagiere wie heute, um das Drehkreuz in Zürich zu betreiben.

 

Der Schweizer Heimmarkt ist klein, für die meisten interkontinentalen Destinationen brauchen wir Umsteigepassagiere, um die Strecken bedienen zu können. Der Flughafen Zürich ist aber der Hub mit den wenigsten Umsteigern in Europa: Wir haben nur knapp 30 Prozent Umsteigepassagiere. Die Swissair flog noch mit 70 Prozent Umsteigern. Wir sehen uns als Schweizer Airline - und die Schweizer Wirtschaft braucht einen wachsenden Flughafen. Wenn heute beschlossen wird, dass keinerlei Anpassungen am Pistensystem möglich sind, werden wir stagnieren und schliesslich schrumpfen, und zwar sowohl der Flughafen und die Swiss als auch die Schweizer Volkswirtschaft insgesamt.

 

Sie malen den Teufel an die Wand.

 

Nein, ich bin Realist. Unmittelbar wären wir zwar nicht betroffen, weil Wachstum ein langfristiger Prozess ist. Aber wenn wir wegen der Planungsstatiker nicht mit anderen Mitbewerbern mitwachsen könnten, würden wir im relativen Wettbewerb zurückfallen - und mittelfristig, wohl ungefähr ab 2020, schrumpfen. Dieser Prozess läuft schleichend, aber er wäre unaufhaltsam. Nicht nur für uns, für die Schweiz generell wäre eine Annahme der Vorlagen verheerend. Die Wertschöpfung, die der Flugverkehr dem Land bringt, beträgt rund 33 Milliarden Franken, insgesamt stellt er direkt und indirekt 180 000 Arbeitsplätze.

 

Wie würde sich ein Ja zur Behördeninitiative oder zum Gegenvorschlag auf den geplanten Flottenausbau auswirken?

 

Die bis 2014 beschlossenen Investitionen können wir auf jeden Fall umsetzen, auch mit den heutigen Pistenkapazitäten. Die Frage ist, was danach kommt. Ein Ersatz unserer A320- und der A340-Flotte, der als Nächstes ansteht, bedeutet einen Investitionsbedarf von 3 bis 4 Milliarden Franken. Diese Investition können wir nicht tätigen, wenn wir vom Standort keine Zukunftszusage erhalten. Denn ohne Wachstum können wir keine Erneuerungsinvestitionen finanzieren.

 

Und Sie meinen, Sie könnten dieses Wachstum mit dem bestehenden Pistensystem bewältigen?

 

Schon wenige Massnahmen würden ausreichen. Mit einer Verlängerung der Piste 28 und mit dem Bau von Schnellabrollwegen werden wir bis etwa 2020 durchkommen. Dann muss eine neue Generation entscheiden, wie es weitergehen soll. Die Behördeninitiative will jetzt schon den Deckel drauflegen. Auch im Hinblick auf den Sachplan Infrastruktur Luftfahrt, den der Bundesrat bald verabschieden wird, ist es wichtig, dass man mutige Entscheidungen nicht blockiert.

 

Sie sprechen die Parallelpiste an. Die wurde bekanntlich zu Ihrem Ärger aus dem Entwurf dieses Sachplans gestrichen, der die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten des Flughafens vorgibt . . .

 

. . . ich sag es einmal so: Das ist eine politische Entscheidung, die die Schweiz trifft. Wenn die Parallelpiste jetzt abzuschreiben ist, dann ist sie abzuschreiben und heute kein Thema mehr. Sie wird aber garantiert in den nächsten 20 Jahren wieder auf den Tisch kommen, weil sie sich betrieblich ganz einfach aufdrängt. Ich bin ein zuversichtlicher Charakter, und ich denke, dass der Mensch an sich ein vernünftiges Wesen ist. Er hat den Drang, immer besser zu werden. Fehlentscheide, die aus einer Zeit heraus vielleicht verständlich sind, werden wieder korrigiert.

 

Die Maschinen werden leistungsfähiger, aber auch leiser - trotzdem ist das Thema Fluglärm allgegenwärtig. Weshalb?

 

Es ist ein emotionales Thema. Die Leute wissen im Grunde sehr genau, dass eine Caravelle früher extrem laut und eine DC-9 sehr laut war, ein Airbus A320 von heute dagegen enorm viel leiser ist. Aber dann sehen sie ein Flugzeug über sich hinwegfliegen und sagen: Das muss weg. Das rührt vermutlich daher, dass man über Flugzeuge nicht selber die Kontrolle hat, weniger zumindest als über Autos, die man ja selber fahren kann. Bald werden unsere C-Series-Modelle im Einsatz sein, Flugzeuge der nächsten Generation, die halb so laut sind wie ein A320. Dann wird der Ortsbus in den Flughafengemeinden lauter sein, aber dass die Leute deswegen aufhören über Fluglärm zu klagen, bezweifle ich.

 

Der Flughafen ist eine nationale Infrastruktur. Wenn das Zürchervolk einer Beschränkung zustimmt, muss dann der Bund das Zepter stärker in die Hand nehmen?

 

Nein. Bern kann nicht per Anweisung bestimmen, was Zürich umsetzen muss, die Flughafenentwicklung muss auch von den Zürchern getragen werden. Das ist die Grundlage des föderalen Systems. Dieser Prozess ist in Ordnung. Aber er funktioniert nur, wenn die Leute ihre individuelle Verantwortung auch wahrnehmen und nicht einfach sich selbst und ihr eigenes Leben optimieren wollen. Es geht nicht, absoluten Wohlstand zu haben, ohne etwas dafür zu geben. In einer Gesellschaft muss man immer auch Kompromisse machen. Und man muss in den Diskussionen ehrlich bleiben.

 

Und wenn der Entscheid aus Ihrer Sicht unverantwortlich ausfällt - dann rufen Sie doch nach dem Bund?

 

Nein, ich bin überzeugter Demokrat und Pluralist und auch in einem föderalen Land aufgewachsen. Es ist jetzt an uns, den Bürgern klarzumachen, dass sie nicht nur vom Flughafen profitieren können, sondern auch die Belastung mittragen müssen. Sehen Sie sich die Flughafengemeinden an, die hinter der Behördeninitiative stehen. Die Lärmbelastung ist in den vergangenen zehn Jahren massiv zurückgegangen, die Zahl der Anwohner hat sich verdoppelt. Da kann die Belastung ja nicht ganz so schlimm sein. Der Boom zeigt, dass das Flughafenumfeld extrem attraktiv ist. Ich glaube daran, dass die Zürcher dies einsehen. Das war auch bei früheren Flughafen-Abstimmungen so. Alles, was bisher am Flughafen gebaut wurde, ist vom Volk getragen. Warum soll das in den nächsten 25 Jahren nicht auch so funktionieren?

 

DIE BOTSCHAFT IST KLAR - DIE STIMMBÜRGER DES KANTONS ZÜRICH ENTSCHEIDEN ÜBER DIE ZUKUNFT DES NATIONALEN HUBS... :confused: . ICH WÜNSCHE MIR EINE HOHE STIMMBETEILIGUNG ! ROLAND

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Eigentlich ein recht gutes Interview, allerdings sind schon ein paar Fragen aufgetaucht...

 

- 4-6% Wachstum pro Jahr... Ja solche Zahlen hat es doch auch schon einmal gegeben Ende der 90er Jahre. Wären wir jetzt nur nicht am Rande einer weiteren, grossen Wirtschaftskrise...

 

- Gut, der Interviewer hat sicherlich darauf hinauswollen, aber eine Forderung nach Südstarts kommt sicherlich nicht gerade gut an

 

- Er spricht von grossen Investitionen, vergisst aber zu sagen, dass diese grösstenteils im Ausland anfallen und nicht in der Schweiz bleiben. Diese Karte zieht nicht wirklich

 

Ansonsten stimme ich dem Harry zu und keine Angst, ich werde im Sinne von ihm stimmen :005:

 

Gruss, Ernst

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Ich hab dieses Interview auch gelesen und bin ab einigen Aussagen von H. Hohmeister, gelinde gesagt, erstaunt. So wie diese:

 

Denn ohne Wachstum können wir keine Erneuerungsinvestitionen finanzieren.

Auf Erneuerungsinvestitionen zu verzichten, wenn das Unternehmen nicht wachsen kann, bedeutet mit Sicherheit den Untergang des Unternehmen! Sei es nun die Swiss oder einfach auch ein Restaurant, periodisch erneuert werden muss immer, ungeachtet eines potentiellen Wachtums. Die finanziellen Mittel dazu sind aus rechtzeitigen Abschreibungen bereit zu stellen. Erneuerungen aus Wachstum finanzieren zu wollen, ist Casino.

 

Hat übrigens nicht gerade die Swissair mit ihrer Hunterstrategie gezeigt, wohin Wachstum auch führen kann?

 

 

Wenn die Parallelpiste jetzt abzuschreiben ist, dann ist sie abzuschreiben und heute kein Thema mehr. Sie wird aber garantiert in den nächsten 20 Jahren wieder auf den Tisch kommen, weil sie sich betrieblich ganz einfach aufdrängt.

Betriebliche Fakten eines Unternehmens sind das eine, volkswirtschaftliche und raumplanerische Sachzwänge der Oeffentlichkeit das Andere. Seine Meinung und Hoffnung zur Parallelpiste sei H. Hohmeister unbenommen, aber eine Anpassung der Strategie eines Unternehmens an Sachzwänge der Realität wäre sachdienlicher.

 

Das Interview hat mich nachdenklich gemacht.

 

Walter

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m.E. gute Argumentation, vertretbare Standpunkte und eine klare Ansage Hohmeisters. Er könnte sogar noch viel schärfer argumentieren, z.B. mit einem Teilabzug der Swiss-Flugzeuge nach EDDF oder EDDM, wenn sich der Kanton weiterhin gegen die benötigten Ausbaupläne sträuben. Warum auch nicht? In anderen Branchen in der Wirtschaft ist dieses Zwangmittel des Abzugs ins nahe Ausland immer wieder ein Thema gewesen (starker Franken, Pauschalbesteuerung für reiche Ausländer, Normalbesteuerung für CH-Grossfirmen etc.). Und schliesslich sitzt die Lufthansa am längeren Hebel als Herr und Frau Schweizer bzw. Zürcher.

 

Viele Grüsse, Stefan

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