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Untersuchungsbericht LH044


muellae

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Würde es aber derart, wie von den Böen Theoretikern postuliert, auch in viel kürzeren Intervallen geschwankt haben, dann gäbe es auch in den alle 10 Sekunden erhobenen 2 Minuten Mittelwerten sehr viel grössere Ausreisser. Insbesondere die 6 letzten Aufzeichnungen vor dem Touchdown sind diesbezüglich jedoch völlig unauffällig.

 

 

Es kann ohne weiteres so gewesen sein, dass die genannten Extremwerte innerhalb der letzten 2 Minuten aufgetreten sind, mit gerechneten Mittelwerten ist das so eine Sache.

 

Was du bei deiner Verneinung der Böentheorie übersiehst, sind weniger die zeitlichen sondern die örtlichen Windschwankungen. Bei hohen Windgeschwindigkeiten treten in Bodennähe Grenzschichteffekte auf, die sich – je nach Hindernissituation – als massive Wirbel (horizontal und vertikal) auswirken.

 

Ich kenne Hamburg recht gut, genau in der Richtung, aus der der Wind wehte, steht ein kleiner Wald in Pistennähe, der regelmässig für derartige Wirbel sorgt.

Und wenn nun eine Maschine während der Landung mit 140kts einen derartigen Hexenkessel durchfliegt, kann tatsächlich innerhalb kürzester Zeit die Windsituation massiv ändern.

 

Es waren denn auch derartige Wirbel, die für die aufgezeichneten Windschwankungen sorgten; es kann ja nicht sein, dass die gesamte Luftmasse kurzfristig auf 8kts verzögert um dann wieder auf 47kts zu beschleunigen.

 

 

Gruss

 

Ruedi

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Böen dauern manchmal weniger als eine Sekunde. Flieg mal mit deinem Segelflieger mit 200 über eine Bergkrete bei starkem Wind.

 

Genauso passiert's bei einem Airliner: Er fliegt seine 160 kt durch bewegte Luft. Sonst empfehle ich dir einen Flug in einem Airliner beim nächsten Herbststurm. Ich versichere dir: Es gibt sehr kurzfristige Böen. Der Volksmund nennt sie "Luftlöcher".

 

Dani

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Genau, Ruedi.

 

Ich hatte meinen allerersten Flug als Copi auf einem F100 in HAM vor ziemlich genau 15 Jahren. Ich flog Piste 23 an, kurz vor dem Minimum "räbelt" es und ich befinde mich zwar noch mit der gleichen Speed und dem gleichen Heading in der Luft, aber ca. 10 Meter von der Centerline entfernt.

 

Das ganze dauerte höchstens 2 Sekunden.

 

(Bei mir hat dann übrigens der Fluglehrer übernommen und die Landung zu Ende geführt.)

 

Dani

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Die Diskussion über Böe oder nicht Böe ist doch eigentlich eine Diskussion über Überraschung. Wurde die Copilotin des A320 von etwas überrascht auf das sie eben nicht schnell genug reagiert hat? Hier liegt ein Fehler in der Annahme das es noch etwas zu kontrollieren gab. Unter extremen Bedingungen führen Flugfehler manchmal unvermeidbar zu Kontrollverlust.

 

 

 

Etwas zur Physik der Seitenwindlandung:

 

Solange das Flugzeug im Anflug mit Crab - Winkel die Piste ansteuert merkt die Aerodynamik gar nicht von einem Seitenwind. Für beide Tragflächen kommt der Wind genau von vorne. Ob in 10km oder in 10m AGL der Auftrieb ist gleichmäßig verteilt. Böen ändern dabei nur den Crab Winkel und verursachen Fahrtschwankungen.

 

In dem Moment wo ich die Maschine mit dem Seitenruder in Pistenrichtung ausrichte ändert sich das. Jetzt fliege ich einen Slip. Dh der Rumpf wird seitlich angeströmt und bei manchen Modellen wird sie leeseitige Tragfläche etwas abgeschirmt. Aus diesem Grund muß ich um den Slip stabil zu halten in 10km Höhe wie in 10m Höhe etwas Querruder in den Wind geben. Böen ändern an diesem Umstand nichts.

 

Kurz vor dem Aufsetzen kommt noch eine Aufgabe für das Querruder dazu. Es muß eine Abdrift von der Pistenmittelline verhindern. Dafür muß also noch etwas mehr Querruder gegen den Wind gegeben werden. Eine plötzliche Böe kann hier überraschend eine solche Abdrift erzeugen.

 

In diesem Fall muß der Pilot beurteilen ob mit deutlichem Querruder gegen den Wind eine "zurückslippen" zu Pistenmitte mit der verbleibenden Höhe noch möglich ist oder ob es heißt "Go Around!"

 

Bis zum Moment des Aufsetzens ist die Querlage für die Steurbarkeit des Flugzeugs allerdings egal, die Querruder werden immer ausreichen um jede gewünschte Lageänderung herbeizuführen. Starker Wind, schwacher Wind, Böe egal.

 

Mit dem Moment der Aufsetzens ändern sich nur die Bedingungen grundlegend. Durch die plötzlich einsetzenden Reibungskräfte am Fahrwerk entsteht mit einem Male das Potential für ein Drehmoment um dieses Fahrwerk. Das heißt in dem Moment wo das Fahrwerk aufsetzt hat ein Seitenwind die Möglichkeit das Flugzeug um die Längsache zu kippen.

 

Diese Potential muß der Pilot unter allen Umständen unter Kontrolle halten. Deshalb wird mit dem Luvseitigen Rad zuerst aufgesetzt und auch während des Rollens noch Querruder gegen den Wind gehalten. Alles das dient dazu dem Seitenwind keine Angriffsfläche an der Unterseite der windseitigen Tragfläche zu bieten.

 

Gibt es diese Angriffsfläche dann kann bei starkem Seitenwind mit dem Moment des Aufsetzens auch ein Vollausschlag der Querrudern nicht mehr ausreichend sein um ein Aufkippen um die Längsachse zu verhindern - das Flugzeug wird einige - sehr lange - Sekunden unkontrollierbar und es ist nur Glück ob sich schnell genug wieder ein kontrollierbarer Zustand einstellt.

(Im Falle des LH A320 schlägt nicht nur die Tragfläche am Boden auf sondern das Flugzeug wird auch noch fast von der Piste gedrängt - genau dieses Abrutschen verringert aber das Drehmoment um die Längsachse und gibt - gemeinsam mit der zunehmenden Fahrt - den Querrudern wieder Kontrolle)

 

Mit einer Böe oder keiner Böe hat das alles nichts zu tun. Ein völlig stetiger Seitenwind dieser Stärke kippt das Flugzeug problemlos - wenn ich ihm die Gelegenheit dazu biete und mit eine Querlage aufsetzte die ein Rollmoment um das Fahrwerk erlaubt.

 

 

 

Kurz vor dam Aufsetzen von LH044 war die Kombination aus Seitenwind und Flugzeuglage so dass ohne Durchstarten unvermeidbar Kontrollverlust eintreten würde. Böe oder nicht spielt dabei keine Rolle.

 

 

Wolfgang

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alles sehr korrekt, Wolfgang.

 

Aber: Airbus empfiehlt, gar kein oder nur ein partielles Decrabbing zu machen, das steht auch so im Untersuchungsbericht.

 

Und wie ich früher schon geschrieben habe: Es hat wahrscheinlich eine Böe gegeben, aber sie war nicht hauptsächlich daran schuld was passiert ist.

 

Dani

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Ohne Decrabbing gibt es im Moment des Aufsetzens aerodynamisch auch keine Seitenwindkomponente. Wenn nach dem Aufsetzen in Pistenrichtung ausgerichtet wird gibt es diese Komponente und das Auftreten eines Rollmoments um die Längsachse muß durch tiefe luvseitige Fläche verhindert werden.

 

In diesem Fall hat die Copilotin aber ganz klar (gegen das Airbus Handbuch) noch in der Luft decrabbed und gleichzeitig (gegen die Regeln für Seitenwindlandungen) ihre luvseitige Fläche angehoben. Unter diesen Bedingungen war Kontrollverlust beim Aufsetzten unvermeidbar.

 

Wolfgang

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Kleiner Zwischenruf eines interessierten Laien.

Zu den Fakten kann ich gar nichts beitragen. Die Diskussion zwischen Euch Piloten finde ich aber extrem interessant und auf hohem Niveau. Chapeau und vielen Dank! Verschieden Meinungen haben und benennen, ohne sich gegenseitig "ans Bein pinkeln" zu wollen. Einfach gut. FF.CH @it's best. Danke!

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Hallo,

 

Korrekt, fuer den Laien sehr interresant!

Danke hierfuer, schliesse mich dem Postings Bodan an

 

 

Gruesse Manni

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