paperflyer Geschrieben 4. November 2007 Geschrieben 4. November 2007 Vorwort Wie ihr vielleicht wisst, habe ich vor einigen Monaten angefangen, über die Realitätsnähe in Flugsimulationen zu recherchieren. Im Laufe der Nachforschungen bemerkte ich aber mehr und mehr Unstimmigkeiten in Gebieten, über die ich vorher nie nachgedacht hatte. Meine gesammelten Erkenntnisse wollte ich eigntlich in einem englischen Magazin veröffentlichen, jedoch wurde der Text am Ende so umfangreich, dass er den Rahmen eines solchen Artikels gesprengt hätte. Daher werde ich nun die Teile, die dort nicht verwendet werden her veröffentlichen. Ich hatte den Text ursprünglich auf Englisch verfasst und eine recht grobe Übersetzung bei www.x-plane.stumbles.ch veröffentlicht. Hier gibt es jetzt für Microsoft Flight Simulator - Freunde noch einmal eine komplett neu geschriebene Version. Was bedeutet "Realismus"? Es geht in diesem Artikel um den Realitätsgrad von Computergrafik. Das ist ein Thema, welches sehr kontrovers diskutiert werden kann, da es buchstäblich viele Verschiedene Sichtweisen für jedes Bild gibt. Erinnern wir uns einmal an die alten Tage des Flight Simulator 5.0, als Hochäuser noch einfarbige Blöcke waren und Hügel nur grüne Pyramiden. Damals war die Auflösung der Bodentexturen noch so niedrig, dass man eine Cessna auf wenigen Pixeln landen konnte. Aber trotzdem gab es schon damals eine eingeschworene Fangemeinde des Flight Simulators, die selbst diese sehr grobe Darstellung der Welt als perfekt realistisch ansah. Seither hat sich die Flugsimulation enorm weiterentwickelt. Wir haben nun die Möglichkeit ganze Wälder mit einzelnen Bäumen zu füllen und Städte mit millionen von verschiedenen Häusern sehr realistisch zu rendern. Dennoch ist es erst noch zu zeigen, ob wir damit der Realität wirklich so viel näher gekommen sind. Um die Realitätsnähe vergleichen zu können, müssen wir erst einmal ein Maß für "Realismus" finden. Die beste Definition dafür, die ich bisher gefunden habe ist folgende: Die "Realitätsnähe" ist diejenige Entfernung, von derer aus sich ein Bild nicht mehr von einem Foto unterscheiden lässt. (1) Der Test dazu lässt sich leicht zu Hause durchführen: nehmt ein schönes Bild aus einer Screenshot-Diskussion hier im Forum und ruft eine weitere Person dazu, die dann entscheiden soll, ob es sich dabei um ein Bild aus einem Simulator handelt oder um ein Foto. Solange man dabei bei Nahaufnahmen von Airlinern bleibt, sind die entsprechenden Entfernungen erstaunlich gering. Bei meinem 19"-Monitor beträgt die Realitätsnähe in etwa 2-3 Meter. Anders sieht es jedoch aus, wenn man Landschaftsaufnamen zeigt. Dort dürfte die Realitätsnähe eher bei 4-5 Metern liegen. Das ist nun sehr interessant, da man von einer solchen Entfernung kaum noch einzelne Bäume ausmachen können wird. Falls man sich gerade in der Luft befindet, dürfte es sogar schwer werden, Bäume, Luftverkehr oder Flughafenfahrzeuge als solche zu erkennen. Im Grunde wäre das einzige, was man sähe die Form und Farbe des Bodens. Oder um es in Flusi-Spreche auszudrücken: Mesh, Texturen und Landklassen. Diese Begriffe sind nur für den Microsoft Flight Simulator gebräuchlich, aber auch alle anderen Flugsimulatoren müssen auf die eine oder andere Art aus solchen Daten hergestellt worden sein. (1) Eigentlich kann man diese Definition so nicht stehen lassen, da sie außer von der Entfernung auch noch von der Bilddiagonale abhängen müsste. Richtig wäre also eigentlich der Blickwinkel als Maß für die Realitätsnähe. Der Vergleich Aber machen wir doch einfach einmal einen praktischen Vergleich: X-Plane gegen FSX gegen meinen persönlichen Favoriten: RealLife Ich habe jeweils versucht, ein Foto mit den beiden Simulatoren so gut wie möglich darzustellen. Die Bildgröße ist bewusst recht klein, da es hier nicht um feine Details sondern den allgemeinen "Realitätseindruck" geht. Abb. 1: Boeing 737 von Aircypria vor Wolken Die Wolken im Hintergrund geben am einfachsten Preis, welches der drei Bilder ein Foto ist, und welches nicht. Auf der Unterseite der Flügel fällt außerdem auf, dass alle Anbauteile eigentlich im Schatten liegen sollten, aber dennoch beleuchtet sind. Auch ist der Sonnenstand nicht bei allen drei Bildern genau gleich, wodurch sie unterschiedlich ausgeleuchtet sind. Auf den ersten Blick ist es aber schwer, das Foto sofort als solches zu erkennen. Wir befinden uns also schon beinahe außerhalb der "Realitätsnähe". Abb. 2: Boeing 737 von Aircypria vor München EDDM Um die Sache ein wenig zu erschweren, zeigt das zweite Bild nun im Hintergund nicht mehr bloßen Himmel, sondern den Flughafen Franz-Josef-Strauß bei München. Hier macht besonders der FSX eine ziemlich schlechte Figur, da ich für ihn keine gute (freeware-) Szenerie gefunden habe und auch die Wolken sehr unrealistisch wirken. Die Bilder zeigen primär, welchen Unterschied eine gute Szenerie machen kann. Abb. 3: Samedan Abb. 3 zeigt Samedan, einen kleinen Flughafen im Osten der Schweiz. In beiden Simulatoren sind Fluss und Straße nur sehr schlecht in die umgebende Landschaft integriert. Was aber besonders auffällt, ist der hervorstechend deplatzierte Flughafen in FSX. Vergleicht man die Bilder aber mit dem Foto, so stellt man außerdem fest, dass sowohl das Dorf als auch die Wiesenfläche komplett fehlen. Obwohl X-Plane hier eine recht gute Figur macht, ist deutlich ersichtlich, dass die Realität wortwörtlich anders aussieht. Es handelt sich hier natürlich hauptsächlich um ein Problem der Landklassen (oder X-Planes Quelldaten) Abb. 4: Zell am See Hier sehen wir einen Blick auf Zell am See, einer kleinen Stadt in Österreich. Das ist aber eigentlich gar nicht wahr, da keiner der beiden Simulatoren auch nur eine der drei Ortschaften darstellt. Da ist wieder ein Problem der Landklassen. Außerdem ist auch noch das Wasser in beiden Simulatoren schlecht dargestellt. Abb. 5: Matterhorn Die letzte Bilderreihe zeigt das Matterhorn in all seiner Pracht. Leider scheint die Geländeauflösung beider Flugsimulatoren weiterhin nicht hoch genug zu sein, um das Matterhorn adäquat darzustellen. Die kantige Felsstruktur gelingt X-Plane etwas besser, während die generelle Form in FSX (mit FSGlobal X) deutlich besser getroffen ist. (Übrigens wächst im FSX etwas weiter links außerhalb des Bildes ein kleiner tropischer Wald, der dort nun wirklich nicht hingehören sollte) Die Orte dieser vier Bilderreihen waren relativ zufällig gewählt, insofern ich sie einfach nur nach der Verfügbarkeit von Luftbildern ausgewählt habe. Auch wäre es natürlich gerade im FSX möglich gewesen, noch einige Grafikoptionen mehr zu aktivieren. Bei der gegebenen Bildgröße wären die Unterschiede jedoch äußerst gering ausgefallen. Allein die Wasserspiegelungen hätten einen großen Unterschied gemacht, indem sie das Bild von Zell am See noch sehr viel weiter von der Realität entfernt hätten. Was sich generell zeigt, ist die schlechte Qualität der Landklassen. Die meisten Dörfer und kleinen Städte fehlen komplett und die Verteilung der Rasen- und Waldflächen ist im besten Falle als merkwürdig zu bezeichnen. Das ist insofern erstaunlich, als dass zum Beispiel das (Freeware-) Bewaldungsprojekt von alpilotx (http://www.alpilotx.de) Wälder sehr viel genauer positioniert, als ich das jemals in einem Simulator gesehen habe. Was das zeigt, ist, dass entsprechende Quelldaten durchaus existieren! Es wäre ein großer Schritt nach vorn, solche hochaufgelösten Datenquellen in die Entwicklung der nächsten Simulatorversionen mit einfließen zu lassen. Was ebenfalls verbesserungswürdig ist, sind die Bodentexturen. Besonders im FSX wurde anscheinend Wert darauf gelegt, Wälder immer als reine Waldflächen ohne jede Störung darzustellen. Das mag für die Darstellung von tropischen Urwäldern richtig sein, ein normaler, europäischer Wald ist aber immer von Wegen und Schneisen durchbrochen. Ground Environments von Flight1 bot hier für den FS2004 eine sehr ansprechende Lösung, die die Darstellung des Bodens wirklich dramatisch verbesserte. Das Problem scheint aber nun im FSX in Vergessenheit geraten zu sein. Schlusswort Beschränkt man sich allein auf die Darstellung der Flugzeuge, so sind wir der Realität erstaunlich nahe. Dabei hat natürlich der FSX klar die Nase vorn, aber auch seine Konkurrenz holt unaufhaltsam auf und es ist noch offen, was die nächsten Versionen der Simulatoren bringen werden. Bezogen auf die Landschaftsdarstellung sieht das schon anders aus. Hier finden sich die größten Probleme bei den Quelldaten, die bei beiden Simulatoren relativ bescheiden sind. Gerade im Vergleich mit realen Fotos wird deutlich, dass es hier noch ein langer Weg bis zum Fotorealismus ist. Was gerade durch dieses Problem deutlich wird, ist die Ähnlichkeit der Simulatoren. Um es auf den Punkt zu bringen ähneln sich die Bilder von FSX und X-Plane erstaunlich stark in ihren Fehlern. Vielleicht sieht die Zukunft aber auch ganz anders aus. Programme wie Tileproxy könnten uns vielleicht der Realität wesentlich näher bringen als das mit Landklassen jemals möglich sein wird. Worüber wir aber wirklich nachdenken sollten, ist die Frage des Endzieles: Gerade, wenn man die Bilder dieses Berichtes ansieht, fällt das Augenmerk fast nie auf Autogen, Autos auf den Straßen oder Vogelschwärme. Schlimmer noch: Diese scheinen für die Realitätsnähe weitgehend ohne Bedeutung! Was wir vielmehr sehen, sind Probleme mit Landklassen und Texturen. Was ich mir für die nächsten Versionen der Simulatoren wünsche, sind daher nicht noch mehr Bäume oder animierte Passanten auf Fußgängerzonen, sondern bessere Bodentexturen und realistische Landklassen Fly High! Zitieren
YesMax Geschrieben 6. November 2007 Geschrieben 6. November 2007 Vielen Dank Bastian für diese interessante Präsentation zum Thema "realistische Grafik". Was ich mir für die nächsten Versionen der Simulatoren wünsche, sind daher nicht noch mehr Bäume oder animierte Passanten auf Fußgängerzonen, sondern bessere Bodentexturen und realistische Landklassen Es gibt eine vielversprechende Entwicklung, die genau in diese Richtung zielt. Lasse doch die englische Fassung dieses Artikels den Firmen zukommen, die Flugsimulatoren entwickeln. :cool: Zitieren
paperflyer Geschrieben 7. November 2007 Autor Geschrieben 7. November 2007 Das sieht in der Tat genau nach dem aus, was ich mir wünsche! Wenn die Landklassen eine ähnliche Qualität haben wie die Bodentexturen, dann wäre das ein wunderbares Stück Software! Die Preisgestaltung ist allerdings recht heftig, aber was zahlt man nicht alles, um schöner fliegen zu können... Zitieren
jumon42 Geschrieben 7. November 2007 Geschrieben 7. November 2007 Eine schöne Entwicklung. Die Entwicklung von realistischeren Texturen sehe ich zwar positiv. Für mich bedeutet VFR-Fliegen aber in der Zukunft, dass ich über real existierende Landschaften fliege. Mir reicht hier nicht, dass es realistisch wirkt. Das Haus was ich sehe muss auch so da stehen. Der Wiedererrkennungswert ist für mich wichtig. VFR Germany 1 West z.B. ist hier auch nur als erster Schritt zu sehen. Da müssen vor allem die Farben und auch die Auflösung besser werden. Ein Problem ist aber wenn man tiefer fliegt, die fehlende Räumlichkeit. Wie das Problem in den Griff zu kriegen ist, mal schauen. Ich bin mal gespannt auf die Entwicklungen in den nächsten Jahren. Zitieren
paperflyer Geschrieben 7. November 2007 Autor Geschrieben 7. November 2007 so schön diese Vorstellung ist, so sehr fehlt es aber ganz grundsätzlich noch an den nötigen Daten. Selbst Datenbanken wie GoogleEarth haben noch keine flächendeckenden, hochauflösenden Daten zur Verfügung, geschweige denn in vereinheitlichter Farbgebung. Und selbst davon abgesehen dürfte der nötige Speicherbedarf astronomisch hoch ausfallen. Aber erstens kommt alles anders, und zweitens als man denkt... Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Anbieter für relativ großflächige Fotoszenerie-Addons, die zumindest einen guten Teil von Mitteleuropa schon sehr effizient abdecken. Diesen Weg kann aber immer nur ein Drittanbieter und nie der Hersteller selbst gehen -- und gerade dort sehe ich momentan den größeren Verbesserungsbedarf. Mit anderen Worten: Es ist natürlich sehr löblich, dass es immer mehr Fotoszenerien und jetzt auch verbesserte Autogen-Texturen gibt, aber zumindest die Autogen-Texturen wünsche ich mir nächstes Mal direkt von Microsoft ;) Zitieren
jumon42 Geschrieben 8. November 2007 Geschrieben 8. November 2007 Grundsätzlich ist es mir egal, ob die Scenerien direkt von Microsoft oder von einem Drittanbieter kommen. Ich kann zwar erwarten, dass der FS11 wieder eine Verbesserung erfährt, aber von einem Basisprodukt kann ich nicht High End erwarten. Das ist aber sicher noch eine Entwicklung von ganz vielen Jahren. Mittlerweile gibt es auch in Google Earth deutlich bessere Qualitäten als sie in VFR Germany verarbeitet wurden. Die Version 2 irgendwann mal wird daher eine deutliche Verbesserung bringen. Im Jahre 2010 erwarten wir Festplatten von 3 Terrabyte Größe. Daher wird langfristig das Mengenproblem kleiner. Man bekommt dann die Daten statt auf DVD dann auf HD-DVD. Warten wir mal wie der FS.. im Jahre 2020 aussehen wird. Zitieren
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