Scratch Geschrieben 3. September 2007 Geschrieben 3. September 2007 ...im Vorfeld zur Urteilseröffnung im "Skyguide-Prozess" schreibt Rene Stäubli im Tagi folgendes: 31. August 2007, 19:13 – Von René Staubli Skyguide scheint wenig gelernt zu haben Die Skyguide-Manager haben vor der Flugzeugkatastrophe von Überlingen alle Warnungen der Fluglotsen ignoriert. Tun sie seither genug für die Sicherheit? Zweifel sind erlaubt. Zu behaupten, der Zusammenstoss der beiden Jets bei Überlingen am 1. Juli 2002 sei aus heiterem Himmel erfolgt, wäre falsch: Am 4. Januar 2002 kritisieren die Genfer Fluglotsen in einem Brief ans Management die Zürcher Praxis, den Luftraum teilweise nur von einem statt von zwei Fluglotsen überwachen zu lassen: «Die Auswirkungen sind zu ernst, als dass man sie auf die leichte Schulter nehmen könnte.» Am 6. März bekommt Skyguide-Chef Alain Rossier Post vom Zürcher Fluglotsenverband: «Die desolate Situation in Zürich (...) veranlasst uns, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Wir können mit der momentanen Personalsituation unseren Auftrag (...) nicht mehr erfüllen». Die Rede ist von Wildwestmethoden: jeder Lotse erledige seinen Job nach eigenem Gutdünken. Am 10. März alarmieren mehrere Fluglotsen den Chef der Zürcher Flugsicherung: «Täglich ist die Situation chaotisch.» Die Arbeitsbedingungen seien «unzumutbar». Es sei «nur sehr schwer vorstellbar, dass der Sommer in diesem Zustand heil zu überstehen ist». Werbung Knapp vier Monate später bezahlen 71 Menschen die Sicherheitsmängel bei Skyguide mit ihrem Leben. In der Unglücksnacht überwacht nur ein Lotse den Luftraum, sein Kollege macht Pause. Nach dem Crash verbietet das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) den Einmannbetrieb. Bei Skyguide tritt vor Überlingen, aber auch danach ein fatales Muster zu Tage: Das Management beschliesst über die Köpfe der Angestellten hinweg Neuerungen — oft, um Kosten zu sparen. Die Fluglotsen äussern Sicherheitsbedenken. Das Management wischt sie vom Tisch. Wer reklamiert, wird unter Druck gesetzt, diskreditiert oder entlassen. Das Bazl schreitet erst ein, wenn Missstände publik werden, respektive wenn es bereits zu spät ist. Ein solches Sicherheitsverständnis mag in einer Schuhfabrik angehen. In der Flugüberwachung jedoch müssten auch kleinste Risiken ausgeschaltet werden. Das geschieht bei Skyguide aber nicht, wie vier Fälle zeigen: Fall 1: Beinahe-Crash wegen SMOP Am 13. Dezember 2001 kommt es im Zürcher Luftraum innert 90 Sekunden zu zwei Beinahezusammenstössen. Ursache ist die Überlastung eines Fluglotsen, der seinen Sektor wegen Personalmangel im Einmannbetrieb überwachen muss. Das Verfahren nennt sich Single Manned Operations (SMOP). Das Management hält trotz interner Kritik daran fest. Bis das Bazl nach Überlingen sein Veto einlegt. Skyguide rechtfertigt sich heute: SMOP sei eine «gängige, erlaubte Praxis in der Flugsicherung» und werde nach wie vor in 14 Ländern praktiziert. Die Schweiz sei «eines der wenigen Länder, wenn nicht das einzige, wo SMOP grundsätzlich verboten ist». Fall 2: Chaos bei den Ostanflügen Am 23. Oktober 2006 wird in Zürich das Instrumentenlandesystem (ILS) für die Piste 28 in Betrieb genommen. Damit kann Kloten nicht nur von Norden und Süden, sondern auch von Osten her «blind» angeflogen werden. Am 10. Oktober fordern 36 von 61 Fluglotsen das Management schriftlich auf, das Projekt aus Sicherheitsgründen zu stoppen. Durch das unausgegorene Verfahren würden gefährliche Annäherungen von Flugzeugen «in extremster Art und Weise provoziert». Weltweit würden An- und Abflüge entflochten Zürich mache das Gegenteil. Das Konzept lasse den Lotsen «keinen Raum für kleinste Fehler/Unterlassungen und Abweichungen, da alles Chrut und Rüebli durcheinander geflochten werden muss». Das Management bietet die Lotsen zu einer Aussprache auf. Zufall oder nicht: Gleichzeitig wird ihnen ein neues Disziplinarreglement zugestellt, das mögliche Sanktionen bis hin zur fristlosen Kündigung auflistet. Ein Verfahren kann laut Artikel 1 schon eröffnet werden, wenn «inakzeptables Verhalten (...) negative Auswirkungen auf die Harmonie in der Dienststelle» hat. Laut Skyguide zeigt sich in einem Gespräch mit dem Lotsenverband Aerocontrol, «dass die Bedenken bereits abgeklärt und Anpassungen vorgenommen worden sind». Darauf zieht die Hälfte der Lotsen die Unterschrift zurück, die andern machen die Faust im Sack. Wo Aerocontrol steht, zeigt sich unmittelbar vor dem Überlingen-Prozess. Die Gewerkschaft verpasst ihren eigenen Leuten einen Maulkorb: «Wir möchten noch einmal in Erinnerung rufen, dass es verboten ist, mit den Medien in Kontakt zu treten (...) wir bevorzugen eine koordinierte Medienstrategie, in welcher wir die Kontrolle über die Berichterstattung haben.» Fall 3: Eine Fehlplanung mit Folgen Das Management von Skyguide plant, die Überwachung des oberen Schweizer Luftraums in einem Upper Airspace Center (UAC) in Genf zusammenzulegen, um Personal einzusparen. Die Lotsen äussern im Oktober 2004 Bedenken, weil in Zürich im Hinblick auf die Einführung 30 Stellen präventiv abgebaut werden sollen. Sie glauben nicht ans unausgereifte UAC-Projekt, wohl aber, dass es beim absehbaren Scheitern zu sicherheitsrelevanten Personalengpässen in Zürich kommen wird. Der Protest beim Management fruchtet nichts. Im Januar 2006 geht deshalb ein anonymer Brief an Bundesrat Moritz Leuenberger, in dessen Departement das Bazl angesiedelt ist. Anlass des Schreibens sei «Misswirtschaft und eine kontinuierliche Anhäufung von Fehlentscheiden, die den Verfassern Sorge bereiten», heisst es. Die Lotsen kritisieren die «kostenintensive, nutzlose» Übung und äussern Sicherheitsbedenken: «Skyguide kann und darf sich kein weiteres Überlingen mehr leisten.» Tatsächlich stoppt das Bazl UAC zwei Tage vor der Einführung. Begründung: Das System sei weder sicher noch ausreichend ausgetestet. Ausserdem fehle der Nachweis einer genügenden Ausbildung der Lotsen. Generell räume Skyguide der Sicherheit zu wenig Priorität ein. Auch als Folge des Scheiterns von UAC arbeiten in Zürich derzeit nur 165 statt 206 Flugverkehrsleiter. Der krasse Unterbestand erhöht das Fehlerrisiko. Fall 4: Knallharte Entlassungen Zu den Unterzeichnenden des Briefes vom 10. März 2002 («es ist nur sehr schwer vorstellbar, dass der Sommer in diesem Zustand heil zu überstehen ist») gehören zwei Frauen. Als Dienstleiterinnen der Lotsen-Assistenten kritisieren sie mehrmals Sicherheits- und Führungsmängel etwa im Zusammenhang mit UAC und dem Nichteinhalten von Dienstvorschriften. Im September 2005 erhält die eine den ärztlichen Bescheid, sie sei an Leukämie erkrankt. Sechs Monate später kündigt ihr Skyguide nach 27 Dienstjahren und trotz ausgezeichneter Qualifikationen mit der Begründung, sie habe ihre Treue- und Loyalitätspflicht gegenüber der Firma mehrmals verletzt. Mit derselben Begründung wird auch ihre Kollegin entlassen. Die beiden Frauen reichen Klage wegen missbräuchlicher Kündigung ein. Das Urteil des Bezirksgerichts Bülach, das auch den Überlingen-Prozess führt, wird in diesem Herbst erwartet. Skyguide sagt, die beiden Entlassungen hätten «andere Hintergründe, die wir leider aus rechtlichen Gründen nicht öffentlich machen können». Staatsanwalt Bernhard Hecht geisselte im Bülacher Strafprozess das «mangelnde Risikobewusstsein» der Skyguide-Führung und das «Klima der Sorglosigkeit» im Betrieb. Die Chefs hätten der Effizienz — also dem Sparen — mehr Bedeutung beigemessen als der Sicherheit. Sie seien schlechte Vorbilder gewesen: «Sorglos, unkritisch und unkommunikativ.» Skyguide sagt hingegen, das Bazl fahre im internationalen Vergleich einen wesentlich strikteren und rigoroseren Kurs als Regulatoren in andern Ländern. Dies sei auf Grund der Unfälle der jüngeren Vergangenheit auch absolut verständlich und richtig. Die logische Folge des Kurswechsels sei aber auch, «dass man sich unter den neuen Umständen zuerst finden muss». Zitieren
mds Geschrieben 4. September 2007 Geschrieben 4. September 2007 Auf der Websites des Bezirksgerichtes Bülach kann man nun eine Medienmitteilung mit kurzen Erläuterungen zu den verschiedenen heute eröffneten Urteilen und Freisprüchen abrufen: http://www.bezirksgericht-buelach.ch/zrp/buelach.nsf/wViewContent/8EFA796714BC99AFC125734C00563B17/$File/Mediemitteilungen%204.9.2007.pdf Martin Zitieren
Walter Fischer Geschrieben 4. September 2007 Geschrieben 4. September 2007 Nachdem wir nun genügend Experten-Theorie-Schadenbegrenzungs-Geblubber nachlesen konnten, mal ein Artikel über einen Direkt-Betroffenen, welcher uns aufzeigt, was auch ein Schadenexperte im Herzen fühlen könnte, wenn eines oder beide Kinder seiner Traumfabrik ausgelöscht worden wären: http://www.henri-nannen-preis.de/reportage_06.php?id=12 Gruss Walti Zitieren
mooneyfan Geschrieben 5. September 2007 Geschrieben 5. September 2007 Wow, die Reportagel ist wirklich sehr beeindruckend! Sehr berührend geschrieben, dennoch nicht zu wenig sachlichkeit- genial! Zitieren
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