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Ein Segler, ein Bulle und ein Schmuddelwirt


Thermikus

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Wenn ich meine Tagesaufgaben erledigt habe und wieder einige Steuererklärungen ihren Weg in den Briefkasten gefunden haben, dann habe ich meistens die Nase voll von Zahlen. So krame ich gerne in segelfliegerischen Erinnerungen, mit denen man das Forum ein weinig aufmischen und den eigenen Kopf entlüften kann.

 

Eine dieser Geschichten liegt zwar lange zurück (Ende der Sechzigerjahre), lohnt jedoch trotzdem, wieder einmal hervor gekramt zu werden.

 

Ich sitze also wieder einmal in unserer Ka 8b und warte ungeduldig, bis der Fahrer des Seilrückholfahrzeuges von der Schleppwinde zurückkommt. Da rattert er über Stock und Stein mit dem angehängten Seil daher und es kann losgehen:

 

Haube zu, Seil einklinken, Flächen waagrecht - ein Moment gespannte Stille und dann bewegt sich der Seilfallschirm vor mir im Gras. Ich fühle mich durch die Startbeschleunigung wie auf einem Flugzeugträger und steige gleich darauf steil in den Himmel. Angesagt ist bei etwas zerrissener Thermik ein Streckenflug zu einem anderen Flugplatz und wenn möglich, auch wieder zurück.

 

Am Anfang geht tatsächlich alles wie erwartet. Nach dem Ausklinken finde ich gleich Anschluss an die Thermik und mit ständigem Kreisen geht es aufwärts.

Bald habe ich eine ordentliche Ausgangshöhe erreicht und kann nach einer kurzen Konsultation der Karte und des Kompasses auf Strecke gehen.

 

Einige Zeit lang funktioniert das prima. Kreisen, steigen, abgleiten, wieder kreisen, erneut abgleiten. Plötzlich wird es deutlich mühsamer, Halbmeter-Steigen und Nullschieber wechseln sich ab - es geht nicht mehr so einfach, wie ich mir das vor dem Start noch vorgestellt hatte. Und dann ist der Ofen ganz aus. Ich muss runter. Nur wo?

 

Unten ist Hügel- und Weideland. Auf einer grossen, offenbar relativ ebenen eingezäunten Fläche weidet eine Herde Rindvieh. Die werden jetzt gleich durch einen abgesoffenen Segelflieger Verstärkung bekommen. Die Tiere sind alle auf einem Haufen in einer Ecke der Weide und so kann ich relativ gefahrlos den Anflug planen. Fingierte Platzrunde, voraussichtlichen Aufsetzpunkt angepeilt, Störklappen raus und wieder rein - plumps schon bin ich unten. Nach kurzem Ausrollen neigt sich mein Segler zu Seite und steht. Ich öffne die Haube, weit und breit kein Mensch, in einiger Entfernung unterhalb der Weide eine einsame Landgaststätte. Schon will ich aussteigen und mich auf den Weg zur Gaststätte machen, da wird mir unerwartete Aufmerksamkeit zuteil.

 

Ein kräftiger Bulle tirtt aus der Herde hervor und kommt langsam näher. Oh du meine Güte - auch das noch. Ich spähe ihm mit gemischten Gefühlen entgegen denn ich scheine sein bevorzugtes Interesse geweckt zu haben. Volle Deckung - ich schliesse meine Cockpithaube und warte der Dinge, die da kommen sollen. Der Muni bleibt fünf Meter vor meiner rot-beigen Ka 8b stehen und sein Interesse scheint noch stärker geworden zu sein. Mir fällt das rote Tuch des Matadors in spanischen Stierkampfarenen ein. Oh zum Teufel, warum muss meine Mühle ausgerechnet rot angemalt sein?

 

Das Aggessionspotential meines Gegenüber scheint jedoch auf einem niedrigen Level zu sein. Nach etwa zehn Minuten wendet er sich offenbar zufrieden von mir ab und begibt sich wieder zu seinen Schutzbefohlenen.

 

Ich nutze die Gelegenheit, verlasse im Schnellverfahren das Cockpit und krieche unter dem Weidezaun hindurch, um nicht noch zu guter Letzt einen elektrischen Schlag einzufangen.

 

Bald darauf bin ich bei der Gaststätte angelangt und schreite etwas zaghaft durch die Hintertüre (versehentlich) in die Küche. Da haut es mich dann tatsächlich fast um. Auf dem Boden liegen Brotlaibe, Salatköpfe und anderes Gemüse herum und ein knurriger Schäferhund leckt gerde einen Teller leer.

Mein Hunger und Durst ist sofort verflogen und ich frage den im Raum stehenden Schmuddelwirt, der mich wie einen Besucher vom Mond betrachtet, nur noch, ob ich mal kurz telefonieren könne.

 

Etwas mehr als 1 1/2 Stunden später sind meine Kameraden mit dem Rückholfahrzeug zur Stelle und wir nehmen den Vogel unter dem Schutz eines Bauern, der seine Rinder so lange in Schach hält, auseinander. Sobald der Flieger verladen ist, geht es unverpflegt nach Hause. Da Angebot des Wirtes, bei ihm doch noch einzukehren, lehnen wir verständlicherweise alle dankend ab.

 

Dietwolf:o

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Intressante Geschichte, ich hoffe mal das so was mir in nächster Zeit nicht widerfahren wird... :005:

Mir fällt das rote Tuch des Matadors in spanischen Stierkampfarenen ein. Oh zum Teufel, warum muss meine Mühle ausgerechnet rot angemalt sein?

 

Meines Wissens nach ist es weniger die rote Farbe, die den Stier aggressiv macht, als viel mehr die nervösen Bewegungen, die der Matador mit dem Tuch ausführt. :cool:

 

Was du alles für Geschichten auf Lager hast! :005:

 

Gruss

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Intressante Geschichte' date=' ich hoffe mal das so was mir in nächster Zeit nicht widerfahren wird... :005:

 

 

Meines Wissens nach ist es weniger die rote Farbe, die den Stier aggressiv macht, als viel mehr die nervösen Bewegungen, die der Matador mit dem Tuch ausführt. :cool:

 

Was du alles für Geschichten auf Lager hast! :005:

 

Gruss[/quote']

 

Hallo Pacal

 

warte einmal ab, bis Du 65 bist und nahezu 50 Jahre aktive Fliegerei auf dem Buckel hast. Dann wirst Du wahrscheinlich auch eine Menge nostalgische Geschichten auf Lager haben.

 

Gruss - Dietwolf:008:

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War mir bis Heute nicht bekannt, dass es in Deutschland auch "Muni's" gibt. Man lernt nie aus. :009:

 

 

Damals gabs vielleicht tatsächlich nur Bullen. An der Bezeichnung "Muni" siehst Du, wie ich bereits - ohne es zu bemerken - helvetisiert worden bin.

 

Gruss - Dietwolf:D

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Das hoff ich doch schwer, dass einiges an interessanten Erfahrungen zusammen kommt. 50 Jahre sind wirklich eine sehr lange Zeit!!! Ich steht jetzt am Anfang meiner fliegerischen Karriere, nimmt wirklich wunder, was ich ein paar Jahrzehnte später alles fliegerisch erreicht habe... :008:

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Das hoff ich doch schwer' date=' dass einiges an interessanten Erfahrungen zusammen kommt. 50 Jahre sind wirklich eine sehr lange Zeit!!! Ich steht jetzt am Anfang meiner fliegerischen Karriere, nimmt wirklich wunder, was ich ein paar Jahrzehnte später alles fliegerisch erreicht habe... :008:[/quote']

 

Ja, Pascal - vielleicht wirst Du dann mit einem Hobby-Raumgleiter Deines Clubs um den Mond kreisen. Nichts ist unmöglich!

 

Gruss - Dietwolf:005:

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Ja, Pascal - vielleicht wirst Du dann mit einem Hobby-Raumgleiter Deines Clubs um den Mond kreisen. Nichts ist unmöglich!

 

Eher werden wir alle - sei es nun wegen der Terrorgefahr oder wegen der Umweltverschmutzung - gegroundet sein.

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