Spitfire Mk XIX Geschrieben 13. Februar 2007 Geschrieben 13. Februar 2007 In der heutigen NZZ ist ein sehr fundierter Artikel über die Hintergründe erschienen, warum beim ersten Crossairunfall bei Nassenwil kein Strafprozess folgen wird. Faktenbasierter Journalismus, wie man ihn sich in der Aviatik stets wünschen würde: Unbehagen über das «Platzen» des Prozesses zum Crossair-Unglück Dass es, wie seit kurzem bekannt, wegen Verjährung nicht zu einem Strafprozess zum Crossair-Unglück von Nassenwil im Januar 2000 kommt, wirft Fragen auf. Wer hat warum zu viel Zeit ungenutzt verstreichen lassen? Liegt es an den Untersuchungsprozeduren? Wann kann eine Flugunfallursache als feststehend beurteilt werden? met. Seit der vergangenen Woche steht definitiv fest, was sich schon länger abgezeichnet hatte: Im Fall des Absturzes einer Saab 340 der Crossair am 10. Januar 2000 bei Nassenwil (Niederhasli), der zehn Todesopfer forderte, wird es wegen Verjährung nicht zu einem Strafprozess kommen (NZZ 2. 2. 07). Anders liegen die Dinge beim Unfall eines Crossair-«Jumbolinos» am 24. November 2001 bei Bassersdorf mit 24 Todesopfern: Hier beantragt der eidgenössische Untersuchungsrichter Jürg Zinglé der Bundesanwaltschaft, Anklage wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger schwerer Körperverletzung zu erheben. Dass im Fall Nassenwil die Verjährungsfrist von sieben Jahren (bei fahrlässiger Tötung) verstreichen konnte, ohne dass das Verfahren anklagereif wurde, hinterlässt Unbehagen und hat zu Recht die Frage aufgeworfen, wo möglicherweise wertvolle Zeit vertrödelt worden ist. Daran ändert nichts, dass mittlerweile bekannt ist, dass niemandem strafrechtlich relevantes Verhalten vorzuwerfen ist - die beiden Piloten waren unter den Todesopfern - und dass Zinglé deshalb der Bundesanwaltschaft auch aus materiellen Gründen die Verfahrenseinstellung beantragen wird. Langer Weg zum Unfall-Schlussbericht Zinglé sagt, dass es natürlich schwierig sei, rechtzeitig Anklage zu erheben, wenn das Büro für Flugunfalluntersuchungen (BFU) gut vier Jahre - mehr als die Hälfte der Verjährungsfrist - brauche, bis der Unfall-Schlussbericht publiziert werden kann. Er will diese Aussage allerdings nicht als Vorwurf an das BFU verstanden wissen. Auch ihm ist bekannt, dass der Weg zum Schlussbericht nach den Rechtsvorschriften vor allem aufgrund des Rekursverfahrens unter Einschaltung der Eidgenössischen Flugunfallkommission (EFUK) langwierig ist. Die lange Dauer bis zur Veröffentlichung der Schlussberichte ist übrigens im Jahr 2003 auch in der Expertise des Niederländischen Luftfahrtforschungsinstituts (NLR) gerügt worden, die Bundesrat Leuenberger nach der Serie von schweren Flugunfällen in Auftrag gegeben hatte. Mittlerweile - im Februar 2004 - hat der Verkehrsminister auf dem Verordnungsweg verfügt, dass die Untersuchungsberichte nicht mehr erst dann veröffentlicht werden, wenn sie entweder nicht angefochten werden oder wenn sie die EFUK nach dem Rekursverfahren zum Schlussbericht erklärt hat. Untersuchungsrichter Zinglé verweist im Weiteren auf das komplizierte Strafverfolgungsverfahren. Die Bundesanwaltschaft hatte zu entscheiden, ob ein Verfahren einzuleiten sei. Danach oblag es dem Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt, die Untersuchung zu führen. Diesen «Handwechsel» wird es mit dem Inkrafttreten der eidgenössischen Strafprozessordnung nicht mehr geben. Die Bundeszuständigkeit ergab sich aus dem Luftfahrtgesetz (Delikte an Bord von Luftfahrzeugen), nachdem das Verfahren nach dem Unfall ursprünglich vom Kanton Zürich eröffnet worden war. Ausdrücklich in Schutz genommen wird das Büro für Flugunfalluntersuchungen von André Schrade, stellvertretender Generalsekretär im Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Im BFU sei gewiss nicht zu schleppend gearbeitet worden, sagt er. Das Departement plant eine weitere Straffung des Verfahrens. Gemäss Schrade ist die Botschaft für eine Änderung des Luftfahrtgesetzes in Arbeit, die unter anderem den Verzicht auf die EFUK vorsieht und die Qualitätskontrolle im BFU neu mittels eines «Verwaltungsrates» (Board) wahrnehmen will. Weil dieses Gremium auch für Bahn- und Schiffsunfälle zuständig werden soll, ist auch in jenem Bereich eine Gesetzesrevision nötig. Wann steht die Unfallursache fest? Eine Frage bleibt unbeantwortet: Ist, wie von Untersuchungsseite immer wieder unterstrichen wird, wirklich ein mit allen Formalien verabschiedeter Flugunfall-Schlussbericht nötig, um ein Strafverfahren einzuleiten? Jürg Zinglé beispielsweise betont, die Ursache eines Ereignisses von der Komplexität eines Flugunfalls müsse zweifelsfrei feststehen, ehe die Strafverfolgungsbehörden tätig werden können. Erlaubt sei die Frage, wann die Ursache feststeht. Im Fall von Nassenwil und Bassersdorf ergibt ein Vergleich der Zwischen- und der Schlussberichte, dass sie die Kausalketten identisch darstellten. Diese Zwischenberichte in einem Detaillierungsgrad von jeweils knapp 20 Seiten lagen - Hut ab vor den BFU-Experten - schon rund viereinhalb Monate nach den beiden Unfallereignissen vor, samt den wichtigsten Sicherheitsempfehlungen zuhanden des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL). Eine Prüfung der Abläufe ergibt obendrein, dass die Beschlagnahme der BFU- Akten durch die Bundesanwaltschaft am Ende dann doch vor der offiziellen Absegnung der Schlussberichte erfolgte. Einzuräumen ist, dass die Schnittstelle Flugunfall-Schlussbericht im Strafverfolgungszusammenhang heikel ist. Die Untersuchungsziele sind eben doch sehr verschieden. Das BFU sucht Ursachen im Interesse der Flugsicherheit. Ein zweites Unglück soll sich auf ähnliche Weise nicht wiederholen können; dem dienen die Sicherheitsempfehlungen. Die Strafverfolger hingegen haben abzuklären, ob schuldhaftes Verhalten vorliegt. In Frankreich gilt, anders als in der Schweiz, sogar, dass die Strafverfolgungsbehörden, jedenfalls offiziell, keine Einsicht in Flugunfallberichte haben - mit dem Argument, Zeugen redeten im Wissen darum, dass ihre Aussagen dereinst nicht vom Strafrichter gewertet werden, offener. Die Fragen verdienten nach der Erfahrung Nassenwil vertiefte Erörterung, jene nach der Dauer der Verjährungsfrist für die fahrlässige Tötung bei derart komplexen Fällen möglicherweise ebenso. Das wäre nicht Sache des Verkehrsdepartements. Zurück zum Unglück der Crossair-Saab von Nassenwil. Wie eingangs festgestellt, beantragt Untersuchungsrichter Zinglé der Bundesanwaltschaft die Verfahrenseinstellung auch aus materiellen Gründen, weil sich keine Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen lässt. Davon ist nach heutiger Rechtsprechung in der Tat auszugehen; die beiden Piloten waren ordentlich lizenziert. Doch auch diese Dinge könnten in Fluss geraten - dann, wenn sich zum sogenannten organisatorischen Verschulden eine entsprechende Gerichtspraxis herausbilden sollte. Damit könnte sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Ausbildungs-, Anstellungs-, Überwachungs- und Coachingfragen ernsthafter stellen. Wie der BFU-Bericht dartut, konnte die aus einem Slowaken und einem Moldauer zusammengesetzte Unfall-Crew von Nassenwil schon aufgrund von Sprachdefiziten nicht so funktionieren, wie das in einer Stresssituation im Cockpit nötig wäre. Ausserdem trug deren Grundausbildung auf sowjetischen Flugzeugen mit ihrer vom westlichen Standard abweichenden Instrumentierung («künstlicher Horizont») zum Unglück bei. Ein Beispiel für die Ahndung organisatorischen Verschuldens bei Flugunfällen gibt es: Das Walliser Kantonsgericht hat den Chefpiloten der Air-Glaciers wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Er hatte es im Jahr 2000 unterlassen, einen Koordinator für besonders komplexe Flugmanöver einzusetzen. Auf einem Sportplatz in Beuson waren bei der Landung zwei Helikopter zusammengestossen, was acht Insassen das Leben kostete. Gruss Dan Zitieren
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