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Passive Sicherheit in der Kleinaviatik


Thermikus

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Es ist schon einige Zeit her, als ich einen Unfallbericht in meinem Aviatik-Magazin las, der Staunen und ungläubiges Kopfschütteln auslöste:

 

Ein Motorsegler vom Typ Super-Dimona (Heckradversion), besetzt mit dem Piloten und einem Passagier flog in grosser Höhe über Berggipfeln zwischen zwei Wolkenschichten, deren vertikaler Abstand zunehmend geringer wurde. Trotzdem ein Durchkommen weder nach oben noch nach unten unter VFR Bedingungen möglich war, flog der PIC unverdrossen weiter, statt rechtzeitig umzukehren.

 

Es kam, wie es kommen musste: Der Flieger befand sich plötzlich in IMC-Bedingungen, was sehr schnell die räumliche Desorientierung des Piloten zur Folge hatte. Der Motorsegler ging nach kurzem Blindflug in den unkontrollierten Spiralsturz über. Die Fahrt nahm rasant über die höchstzulässige Geschwindigkeit zu und nach einem panikartigen Abfangversuch flog mit einem ungeheuren Knall eine der beiden Tragflächen weg. Eine hundertprozentig tödliche Situation - sollte man meinen.

 

Trudelnd wie ein welkes Blatt taumelte die Dimona mit nur noch einem Flügel zwischen den Berggipfeln nach unten. Ein geradezu unglaubliches Glück hatte die Besatzung, dass der Flieger nicht auf einer ebenen Fläche oder an einem Felsen zerschellte sondern auf einem Steilhang aufschlug, eine ganze Strecke diesen Hang hinunterrutschte und sich dann in Buschwerk verfing. Der Pilot und sein Passagier, die sich bereits im Jenseits wähnten, konnten es nicht fassen, diesen Absturz überlebt zu haben und das noch mit relativ leichten Verletzungen. Sie konnten das weitgehend intakte Konststoffcockpit sogar mit eigener Kraft verlassen und sich zu einer nahe gelegenen Hütte begeben, um dort Hilfe zu holen.

 

Die zähe Kunststoffkonstruktion dieses Motorseglers hatte sehr viel Aufschlagsenergie vernichtet und sowohl den Bruchpiloten als auch seinen Begleiter vor dem Tod oder schweren Verletzungen bewahrt. Eine Konstruktion in Metall- oder Gemischtbauweise wäre mit Sicherheit beim Aufschlag völlig zerstört worden. Ueber die Folgen braucht man nicht zu spekulieren.

 

Kürzlich las ich wieder einen Unfallbericht im gleichen Magazin. Diesmal war ein neues Geschäftsreiseflugzeug in Kunstoffkonstruktion bei einem Testflug in den USA an der Reihe. Nach dem Start oder bei der Landung (die Details habe ich nicht mehr genau in Erinnerung) geriet dieses Flugzeug in die Wirbelzone eines Airliners, wurde um die Längsachse gedreht und krachte zu Boden. Dabei überschlug sich der Flieger mehrmals mit hoher Geschwindigkeit. Flächen und Leitwerk wurden abgerissen - ein grösserer Teil des Rumpfes mit dem Cockpit blieb jedoch weitgehend intakt auf der Seite liegen. Aus diesem kroch der Testpilot - wie durch ein Wunder völlig unverletzt. Sein erster Kommentar: Mit einem Flieger in Metallbauweise hätter er diesen Unfall mit Sicherheit nicht überlebt.

 

Es ist wohl anhand der beiden Beispiele unbestritten, dass die sich immer mehr etablierende Kunststoffbauweise von Flugzeugen der allgemeinen Luftfahrt eine erhebliche Verbesserung der passiven Sicherheit bedeutet. Das eröffnet erhebliche Chancen für das Ueberleben von Flugunfällen, die durch die hohe Bruch- Stoss und Schlagfestigkeit der Kunststoffbauweise den Besatzungen gecrashter Flugzeuge weit mehr Schutz bietet als die konventionelle Metall- oder Gemischtbauweise. Wirkungslos wird auch die Kunstoffkonstruktion bei Unfällen immer dann sein, wenn diese durch extrem kurze Verzögerungen und die dabei auftretenden hohen G-Belastungen nicht überlebbar sind.

 

Dietwolf:001:

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Interessante Überlegungen, aber man müsste vielleicht noch klar stellen, dass Stabilität nicht in jedem Fall die gewünschte Eigenschaft ist. IIRC gab es schon in den 30ern Autos, die praktisch unzerstörbar waren. Leider hiess das, dass der Fahrer die Unfallenergie abkriegt und deshalb den Unfall dann nicht überlebt hat.

Also, definierte Verformung ist erwünscht, solange ein Überlebensraum bleibt. Komplette Zerstörung natürlich nicht.

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Also, definierte Verformung ist erwünscht, solange ein Überlebensraum bleibt. Komplette Zerstörung natürlich nicht.

 

Natürlich, deswegen sehen schwere Unfälle im Motorsport auch so spektakulär aus, da wegen dem ganzen Kleinteilen die abbrechen gezielt Energie vernichtet wird.

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Natürlich, deswegen sehen schwere Unfälle im Motorsport auch so spektakulär aus, da wegen dem ganzen Kleinteilen die abbrechen gezielt Energie vernichtet wird.

 

 

Dieser Hinweis auf den Motor-Rennsport ist sehr interessant und für das Thema wegweisend. Früher waren tödliche Unfälle auf den internationalen Rennstrecken an der Tagesordnung. Heute ist die passive Sicherheit der Rennwagen so markant verbessert worden (neben den Sicherheitsmassnahmen an den Rennstrecken selbst), dass den Fahrern auch bei den spektakulärsten Crashs kaum noch Ernstliches geschieht.

 

Wenn man beobachtet, wie die Boliden bei Geschwindigkeiten von zum Teil weit über 200 km/h in die Rennstreckenabgrenzungen knallen, sich x-mal überschlagen, Räder und Luftleitbleche in alle Richtungen auseinanderfliegen und die Fahrer dann meist unverletzt ihren Wracks entsteigen, dann muss wohl in den letzten Jahren Ausserordentliches punkto Sicherheitskonstruktionen geschehen sein.

 

Auch in der Zivilluftfahrt scheint man in dieser Beziehung neuerdings auf gutem Wege zu sein. Hochfeste Kunststoffzellen - vielleicht mit Sollbruchstellen vor und hinter dem Cockpit inklusive Fluggastkabine versehen - berstresistente Treibstofftanks, Fünfpunkt-Anschnallgurte und Front- sowie Seitenairbags könnten vor so manchem schweren Personenschaden bewahren. Die meisten Unfälle geschehen ja nicht durch einen Senkrechtabsturz sondern in flacherem Winkel bei Start und Landung mit Geschwindigkeiten im unteren Bereich der zulässigen Skala.

 

Ich bin sicher, dass sich neben der aktiven auch bezüglich der passiven Sicherheit von Flugzeugen der allgemeinen Luftfahrt in den nächsten Jahren noch einiges tun wird.

 

Dietwolf:004:

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Hallo, das ist sicher wuenschenswert, dass sich da noch viel tut, auch im Bezug auf Ausruestvorschriften, zB fuer Gurtsysteme, wie ich kurz erlaeutern moechte...

 

Hier in Portugal fliege ich in einem Verein, der unter anderem betagte aber ansonsten gut gepflegte Cessna 152 in seiner Flotte hat. Die Gurtsysteme in diesem Flugzeugen, entsprechen mit Sicherheit in Ihrer Ausfuehrung noch dem Originalzustand aus dem Jahr als die Flugzeuge die Werkhallen verlassen haben, also Anfang der 70er irgendwann... Die Gurte haben einen festen Beckengurt, sowie ein sogenantes "Shoulder harness", also ein Schultergurt, der wie in Autos frueher auch ueblich, nicht flexibel verstellbar ist (ueber die Rolle) sondern fest an der seitlichen Innenverkleidung fixiert ist. Er wird mittels einer Einhakverbindung in eine Schnalle am Beckengurt geschoben und soll den Oberkoerper dann vom Nachvornprallen beim (natuerlich hoffentlich niemals erfolgenden) Aufprall am Boden oder beim Aufrollen auf Bodenhindernisse bei einer Notlandung festhalten ... ist man einmal festgeschnallt, dann ist die Verbindung fix, solange man sich nicht zu viel bewegt...

 

Diese Schnallen erlauben naemlich keine wirklich feste Verbindung der beiden Gurtteile, sondern lassen sich recht schnell durch eine kleine Schubbewegung der Schnalle wieder oeffnen. Das gleiche passiert, wenn man sich viel im Cockpit bewegt, zb beim nach hinten drehen um eine Karte zu greifen etc... Staendig faellt einem der Schultergurt aus der Schnalle heraus... Der Punkt auf der Landing- und auch der Emergency-Checklist, "Ceck seatbelts and harnesses - Locked" bekommt da einen echten Sinn...

 

Ich komme aus dem Segelfug, habe spaeter meinen PPL auf der Katana von Diamond Aircraft gemacht. Die dort verwendeten 5 Punkt Gurtsysteme halten einen wirklich fest, selbst wenn mann sie nicht knalleng anzieht, da faellt nix auseinander und mit einem kurzen Zug sind, wenn man es moechte, die Gurte so straff, dass man kaum noch atmen kann...

 

Ihr koennt euch meine zweifelnden Blicke vorstellen, als ich zum ersten mal in einer dieser betagten Cessnas Platz nahm. Noch heute denke ich jedesmal, dass es eigentlich unverstaendlich ist, dass es auch fuer solch alte Flugzeuge bzw. Gurtsysteme nicht mittlerweile Nachruestsets gibt und dass wenn es sie gibt, sie nicht vorgeschrieben sind. Leider waeren die Clubs hier (und sicher auch anderswo) naemlich nur mit einer Vorschrift dazu zu bringen, diese Lebensretter auch wirklich einzubauen.

 

Stattdessen bekam ich etwa folgende Antwort auf meine verblueffte Frage, warum denn keine vernuenftigen gurte eingebaut seine: "So wie es ist, war es ja immer und das geht schon seit ueber 30 jahren schon gut" ...

 

Ja klar, bis irgendwann mal... Naja, das wollen wir jetzt mal nicht an die Wand malen.

 

Zwickmuehle: Soll ich jetzt das Fliegen aufgeben? Soll ich mir ein eigenes Flugzeug kaufen? Werde wohl oder uebel also mit diesen alten Gurten leben muessen. Schoen ist das aber nicht und das denke ich jedesmal, wenn ich auf der Checkliste vorm Anlassen beim Punkt ankomme "Seatbelts and harnesses - Locked"...

 

;)

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Ich kannte da 'nen Unfallbericht, der ging genauso aus. Nur das sich die Dimona selbst zerlegt hat, als zwei Piloten damit munter auf FL165 und in IMC von Italien nach Deutschland über die Alpen getuckert sind. Leider haben sie wohl auch wegen Sauerstoffmangel nicht gemerkt, dass möglicherweise das Pitotrohr und mehr vereiste und deshalb immer mehr nachgedrückt, bis über Vne. Der angezeigten Geschwindigkeit der beiden mitgeführten Backup-Handheld-GPS hat man auch keinen Glauben geschenkt.

 

Partielle Altersweisheit ist auch nicht gerade ein Beitrag zur Flugsicherheit.

 

Edit: Wieder-Gefunden auf Platz 1 bei Suche nach "Flugunfall Dimona".

http://www.google.de/search?hl=de&q=Flugunfall+Dimona&meta=

 

da ist's:

http://versa.bmvit.gv.at/uploads/media/20000603_Dimona_HK36R_85005.pdf

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Diese Schnallen erlauben naemlich keine wirklich feste Verbindung der beiden Gurtteile, sondern lassen sich recht schnell durch eine kleine Schubbewegung der Schnalle wieder oeffnen. Das gleiche passiert, wenn man sich viel im Cockpit bewegt, zb beim nach hinten drehen um eine Karte zu greifen etc... Staendig faellt einem der Schultergurt aus der Schnalle heraus... Der Punkt auf der Landing- und auch der Emergency-Checklist, "Ceck seatbelts and harnesses - Locked" bekommt da einen echten Sinn...

 

Kommt mir schwer bekannt vor. Die eine Hälfte der Cessnas, die ich fliege haben genau solche Schrottgurte. Wenn man sie wirklich eng anzieht, hängt der Verschluss eigentlich nicht so schnell von selbst aus, aber dann kommst du nicht mehr überall ran, z.B. an den Tankwahlschalter. Wenn du den Gurt soweit löst, dass du da noch ran kommst, nützt der Gurt erstens nicht mehr so viel und 2. löst sich die Verbindung dauernd...

Aber wenn ich mir so die Sitzkonstruktion anschaue frage ich mich eh, ob der Sitz in der Verankerung bleiben würde bei nem Unfall...

Die andere Hälfte der Cessnas hat bessere Gurten... 'Rollgurten'... Aber der Verschluss ist IIRC genau so mies.

Tja, so ist das halt, wenn man allenthalben mit 'Oldtimern' in der Luft ist...

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Ich kannte da 'nen Unfallbericht, der ging genauso aus. Nur das sich die Dimona selbst zerlegt hat, als zwei Piloten damit munter auf FL165 und in IMC von Italien nach Deutschland über die Alpen getuckert sind. Leider haben sie wohl auch wegen Sauerstoffmangel nicht gemerkt, dass möglicherweise das Pitotrohr und mehr vereiste und deshalb immer mehr nachgedrückt, bis über Vne. Der angezeigten Geschwindigkeit der beiden mitgeführten Backup-Handheld-GPS hat man auch keinen Glauben geschenkt.

 

Partielle Altersweisheit ist auch nicht gerade ein Beitrag zur Flugsicherheit.

 

Edit: Wieder-Gefunden auf Platz 1 bei Suche nach "Flugunfall Dimona".

http://www.google.de/search?hl=de&q=Flugunfall+Dimona&meta=

 

da ist's:

http://versa.bmvit.gv.at/uploads/media/20000603_Dimona_HK36R_85005.pdf

 

 

"da ist's". Soeben habe ich diesen Unfallbericht gelesen. Es handelt sich genau um das Ereignis, das ich beschrieben hatte. Aus dem Kopf heraus waren mir nicht mehr alle Details geläufig - im Wesentlichen deckt sich meine Beschreibung jedoch mit dem Unfallbericht.

 

Ich frage mich wirklich, wie man bei so unübersichtlichen Wetterverhältnissen und ohne Wetterberatung sowie ohne Sauerstoffgeräte in einer solchen Höhe eine Alpenüberquerung riskieren kann. Manche unserer Kollegen scheinen tatsächlich so eine Art Kamikazementalität zu besitzen.

 

Uebrigens hatte ich vor ca. 30 Jahren eine Vereisung der Staudruckleitung zwischen Staurohr und Instrument mit einem Motorsegler (Scheibe B-Falke) selbst erlebt und geriet dadurch in eine ziemlich kritische Fluglage.

 

Der Vorfall spielte sich in etwa 3'500 Meter Meer bei schönstem Wetter im Titlisgebiet ab. Die Fahrmesseranzeige ging aus seinerzeit für mich unerfindlichen Gründen laufend weiter zurück. Instinktmässig drückte ich nach und gab Vollgas.

Bis ich anhand der wie bei enem Vogel schwingenden Tragflächenenden merkte, dass ich nicht etwa zu langsam war sondern dass mit dem Fahrtmesser etwas nicht stimmte. Zum Glück erinnerte ich mich an die Worte meines Fluglehrers, der während der Segelflugausbildung mit dem Zerbrechen eines Stöckleins hautnah demonstrierte, was geschieht, wenn man bei überhöhter Geschwindigkeit zu hart abfängt. Und so zog ich den Steuerknüppel millimeterweise an mich, bis die Nase des Fliegers wieder in den Himmel zeigte. Die G-Kräfte waren trotzdem noch massiv zu spüren und mein Passagier machte sich schon zum Absprung mit dem Fallschirm bereit.

 

Völlig ohne Geschwindigkeitsanzeige ging ich dann rein nach Ruderdruck und Strömungsgeräuschen in den langsamen Sinkflug über. Bis zur Landung war dann das Eis aufgetaut und das Instrument zeigte wieder ganz normal an.

 

Ein solches Erlebnis wird keiner je vergessen und niemals mehr einer Instrumentenanzeige blind vertrauen ohne diese - wenn irgend möglich - gegenzuprüfen.

 

Gruss - Dietwolf:eek: .

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