Thermikus Geschrieben 16. Januar 2007 Teilen Geschrieben 16. Januar 2007 Einer meiner beeindruckendsten Flüge als Passagier war jener mit der damaligen Vickers VC 10 der BOAC von Zürich über Athen nach Singapore. Und dieser auch noch im vorderen Teil ( First Class). Für unsere jüngeren Leser: Die VC 10 war ein äusserst elegantes Langstrecken-Verkehrsflugzeug mit vier Triebwerken am Heck. In weiten Teilen der Kabine herrschte eine Ruhe, fast wie in einer Kirche. Die Britisch Overseas Airways Corporation (BOAC) flog damals mit diesen Maschinen vor allem auch in den nahen und fernen Osten. Zwei Triebwerke am Heck sind auch heute noch bei diversen Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen ein vertrauter Anblick, nicht mehr jedoch vier Aggregate. Das Gegenstück zur VC 10 bestand in der russischen Iljushin IL 62, die ein Laie kaum von der VC 10 unterscheiden konnte. Die IL 62 bediente seinerzeit z.B. die Strecke Ostberlin - Havanna (Kuba). Wir starteten zu jener Zeit in den Siebzigerjahren auf der Piste 28 in Zürich und flogen dann mit einer Zwischenlandung in Athen direkt nach Singapore weiter. Der damalige Komfort an Bord, die Ruhe und völlige Vibrationsfreiheit sind mir noch heute gegenwärtig. Nicht zu vergleichen mit einem Langstreckenflug in einem der aktuellen Grossraumjets. Was mir unerklärlich ist, ist die Tatsache, dass man dieses geniale Konzept der zwei Doppeltriebwerke am Heck bei Langstreckenflugzeugen aufgegeben hatte. Der Triebwerklärm begann nicht neben der Passagierkabine sondern erst am Ende der Zelle und driftete nach hinten weg. Die Aerodynamik an den Tragflächen wurde durch keine Triebwerkaufhängungen gestört und die Flügel brauchten keinerlei durch die daran hängenden Turbinen verursachten Kräfte aufzunehmen. Dieser Umstand musste die Konstruktion der Tragflächen enorm verenfacht haben. Beim Ausfall eines Triebwerkes (oder sogar beider auf einer Seite) gab es nur unwesentliche Gierkräfte, da der Hebelarm zum Rumpf praktisch fast Null war. Das Seitenleitwerk, bei der VC 10 als T-Leitwerk ausgelegt, musste daher auch nicht überdimensioniert werden. Eventuell kritisch hätte die Explosion eines Triebwerkes werden können, da dadurch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch das unmittelbar daneben befindliche Triebwerk beschädigt worden wäre. Dies ist bei den weit auseinanderliegenden und durch die gepfeilten Tragflächen horizontal versetzten Motoren z.B. eines A 340 oder einer B 747 kaum denkbar. Ein weiteres Argument für die Aufgabe dieser Kontruktionsart war vielleicht, dass die eng beineinander liegenden Trubinen der VC 10 nicht gleich effizient am Flugzeug gewartet werden konnten, wie unter den Flügeln in Bodennähe hängende Einzeltriebwerke. Trotzdem: Warum diese wegweisende Anordnung der Motoren, die sich im zweistrahligen Bereich (Caravelle, DC 9, Fokker 100 usw.) viele Jahrzehnte lang erfolgreich durchsetzen konnte, im vierstrahligen Bereich praktisch völlig aufgegeben wurde, ist mir nicht ohne weiteres einleuchtend. Dietwolf :confused: Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Lukas Kaufmann Geschrieben 16. Januar 2007 Teilen Geschrieben 16. Januar 2007 Hoi Dietwolf, Naja, allgemein sind Hecktriebwerke eben nicht so toll wie es im ersten Augenblick scheint. Urspruenglich wurden die Triebwerke im Fluegel integriert montiert, wie das etwa bei der Comet der Fall war. Mit der Zeit wurden die Triebwerke und die damit verbundenen Maschinen immer groesser, so dass es unmoeglich wurde die Triebwerke in die Fluegel zu integrieren. Man sah sich gezwungen sie unter bzw. vor den Fluegel oder halt ans Heck zu setzen. Ersteres schien aus Stabilitaetsgruenden damals unguenstig, da durch die groessere Flaeche vor dem C.G. eine instabilitaet um die vertikale Achse entstehen wuerde. Man entschied sich also die Trieber ans Heck zu pflanzen um so dieser instabilitaet zu entgehen. Allerdings ist diese Montage mit sehr unguenstigen Stalleigenschaften vebunden. Stallt ein Flugzeug mit Hecktriebwerken, so wird diesen, bedingt durch ihre Position die Luft abgeschnitten... Man musste daher den Stall, insbesondere den "Deep-Stall" (Heck faellt voraus...) um jeden Fall vermeiden. Man ruestete Flugzeuge mit Hecktriebwerken mit sog. Stickpushern aus, die bei einem gewissen Angle of Attack den Yoke und damit die Nase nach unten druecken. Aus diesem Grund werden heutzutage keine Flugzeuge mit Hecktriebwerken mehr hergestellt. Abgesehen von Embraers und Businessjets. Diese haben schlicht zuwenig Platz unter dem Fluegel... Ich hoffe etwas klarheit geschaffen zu haben :) Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Quax37 Geschrieben 16. Januar 2007 Teilen Geschrieben 16. Januar 2007 Ich bin oft, lang ist’s her, mit der IL-62 geflogen und kann dir sagen: so leise sie im vorderen Teil war, so unerträglich laut war sie hinten. Dasselbe gilt auch für B727 und Dc-9 etc. Der Hauptvorteil einer Aufhängung an den Tragflächen liegt in der Gewichtsersparnis, da a) die Flügelwurzel weniger Kräfte aufnehmen muß und b) man kein T-Leitwerk braucht. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Lukas Kaufmann Geschrieben 16. Januar 2007 Teilen Geschrieben 16. Januar 2007 Achja, noch was: Ob Vier- oder Zweistrahlig spielt eigentlich keine rolle, Heck ist heck...:005: Allerdings koennte ich mir noch vorstellen, dass die Konstruktion, durch das enorme Gewicht hinter dem C.G. sehr aufwaendig wurde. Der Hauptvorteil einer Aufhängung an den Tragflächen liegt in der Gewichtsersparnis, daa) die Flügelwurzel weniger Kräfte aufnehmen muß und b) man kein T-Leitwerk braucht. Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Wenn die Triebwerke an der Fluegeln sind muss doch die Wurzel mehr kraefte aufnehmen. oder? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Thermikus Geschrieben 16. Januar 2007 Autor Teilen Geschrieben 16. Januar 2007 Achja, noch was: Ob Vier- oder Zweistrahlig spielt eigentlich keine rolle, Heck ist heck...:005: Allerdings koennte ich mir noch vorstellen, dass die Konstruktion, durch das enorme Gewicht hinter dem C.G. sehr aufwaendig wurde. Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Wenn die Triebwerke an der Fluegeln sind muss doch die Wurzel mehr kraefte aufnehmen. oder? Danke Lukas für Deine Erläuterungen. Das mit der Flügelwurzel glaube ich, Dir so erklären zu können; Das ganze Gewicht des Flugzeugrumpfes mündet in die Tragflächenwurzeln, diese Verbindung von Rumpf und Flügeln. Turbulenzen biegen die Tragflächen zusätzlich noch nach oben durch. Dem wirken die Gewichte der unter den Flügeln hängenden Triebwerke entgegen, so dass die Tragflächenwurzeln durch dieses Gegengewicht also entlastet werden. Und nun - Techniker vor, ob das so richtig ist? Gruss - Dietwolf Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Wilko Wiedemann Geschrieben 16. Januar 2007 Teilen Geschrieben 16. Januar 2007 Wenn die Triebwerke an der Fluegeln sind muss doch die Wurzel mehr kraefte aufnehmen. oder? Falsch, die Flügelwurzeln nehmen die Kräfte auf, die mit dem Gewicht des Rumpfes zusammenhängen. Je leichter der Rumpf, desto weniger Belastung der Flügelwurzeln. Und wenn man nun die schweren Triebwerke unter die Flügel hängt, ist der Rumpf um dieses Gewicht leichter und die Flügel werden weniger nach oben gebogen. Ein weiterer Grund ist der Wartungsaufwand. Eine Heckanordnung, insbesondere von vier Triebwerken ist technisch wesentlich aufwändiger, als eine Anordnung unter den Flügeln. Die Triebwerke sind wesentlich besser und einfacher zugänglich, wenn sie unter den Flügeln hängen. Gruss Wilko Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Quax37 Geschrieben 17. Januar 2007 Teilen Geschrieben 17. Januar 2007 …Dem wirken die Gewichte der unter den Flügeln hängenden Triebwerke entgegen, so dass die Tragflächenwurzeln durch dieses Gegengewicht also entlastet werden. Stimmt. Anders gesagt: je mehr Anteil der Gesamtmasse auf die Tragflächen gelegt wird, desto leichter wird der Rumpf und desto geringer damit auch die Kräfte an der Wurzel. Damit kann die Gesamtkonstruktion leichter gestaltet werden. Dies ist einer der Hintergründe für eine maximum ZFM bei Airlinern. Weiters muß z.B. bei der 737 zuerst der Sprit aus dem Centertank verwendet werden, bevor man die Flügel anzapfen darf. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Thermikus Geschrieben 17. Januar 2007 Autor Teilen Geschrieben 17. Januar 2007 Stimmt.Anders gesagt: je mehr Anteil der Gesamtmasse auf die Tragflächen gelegt wird, desto leichter wird der Rumpf und desto geringer damit auch die Kräfte an der Wurzel. Damit kann die Gesamtkonstruktion leichter gestaltet werden. Dies ist einer der Hintergründe für eine maximum ZFM bei Airlinern. Weiters muß z.B. bei der 737 zuerst der Sprit aus dem Centertank verwendet werden, bevor man die Flügel anzapfen darf. Oh, das mit dem Sprit ist interessant. Diese Ueberlegung habe ich mir bisher nicht gemacht! Dieses Fuel-Management ist aber unter dem Gesichtspunkt der Gewichtsverlagerung vom Rumpf in die Tragflächen absolut logisch und sinnvoll. Der Treibstoff hat ja einen enormen Anteil am Fluggewicht eines Airliners. Damit kann die Tonnage des Rumpfes wirklich drastisch reduziert werden. Gruss - Dietwolf:009: Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Roberto Geschrieben 18. Januar 2007 Teilen Geschrieben 18. Januar 2007 Interessant noch zu erwähnen, dass die Ilyushin Il-62 am Heck ein ausfahrbares Stützrad hatte um ein Defizit in W&B durch fehlende Paxe und Gepäck im vorderen Rumpfbereich und Kraftstoff in den Flügeln während des Leerstandes auszugleichen. Wie wurde des bei der VC eigentlich kompensiert? Das Gewicht der vier Grummelbeulen am Heck muss schon enorm gewesen sein. Ich bin gerne mit der Il-62 mitgeflogen (DM-SEF, DM-SEG, DM-SEH), ich empfand sie als kraftvolles zuverlässiges Flugzeug. Edit: Anfügen möchte ich noch, das die thermische Umgebung bei zwei nebeneinanderliegenden Triebwerken nicht gerade die günstigste Lösung ist. Edit 1: Mit dem Gewicht ist es so....entweder einen Rucksack auf dem Rücken oder an jeder Hand einen schweren Einkaufsbeutel. :) Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Thermikus Geschrieben 18. Januar 2007 Autor Teilen Geschrieben 18. Januar 2007 Interessant noch zu erwähnen, dass die Ilyushin Il-62 am Heck ein ausfahrbares Stützrad hatte um ein Defizit in W&B durch fehlende Paxe und Gepäck im vorderen Rumpfbereich und Kraftstoff in den Flügeln während des Leerstandes auszugleichen.Wie wurde des bei der VC eigentlich kompensiert? Das Gewicht der vier Grummelbeulen am Heck muss schon enorm gewesen sein. Ich bin gerne mit der Il-62 mitgeflogen (DM-SEF, DM-SEG, DM-SEH), ich empfand sie als kraftvolles zuverlässiges Flugzeug. Edit: Anfügen möchte ich noch, das die thermische Umgebung bei zwei nebeneinanderliegenden Triebwerken nicht gerade die günstigste Lösung ist. Edit 1: Mit dem Gewicht ist es so....entweder einen Rucksack auf dem Rücken oder an jeder Hand einen schweren Einkaufsbeutel. :) Hallo Roberto Da bist Du sicher von Ostberlin aus an die rumänische oder bulgarische Schwarzmeerküste geflogen. Da gab es doch einmal einen schweren Unfall mit einer IL 62 kurz nach dem Start in Berlin-Schönefeld (Absturz bei Königswusterhausen) Man munkelte, die hätten Treibstoff ablassen müssen und seien dann beim Wendemanöver durch den eigenen Spritdunst geflogen, was dann eine Explosion ausgelöst haben soll. Näheres hatte ich dazu aber nicht erfahren. Auch ich hatte die russischen Flugzeuge sehr gerne. Ich bin einige Male mit der viermotorigen Turboprop IL 18 (allerdings vom Westen aus) an die rumänische und bulgarische Schwarzmeerküste gereist. Das waren elegante und kraftvolle Vögel. Und die Unterteilung der Kabine durch Trennwände machte die Atmosphäre an Bord gemütlicher. In der zweistrahligen Tupolev gab es vorne eine Sitzbank mit vier gegenüberliegenden bequemen Sesseln. Von dieser Beinfreiheit kann man heute in unseren Mühlen nur noch träumen. Und wenn ich an die alte zweimotorige IL 14 denke: Das war pure Nostalgie! Die hatte oben Gepäcknetze wie in der guten alten Eisenbahn. Schönen Gruss - Dietwolf:001: Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Kov Geschrieben 18. Januar 2007 Teilen Geschrieben 18. Januar 2007 Man munkelte, die hätten Treibstoff ablassen müssen und seien dann beim Wendemanöver durch den eigenen Spritdunst geflogen, was dann eine Explosion ausgelöst haben soll. Näheres hatte ich dazu aber nicht erfahren. Hallo, Irgendwann später fand man dann das heraus: A hot-air tube in the rear of the airplane had contained a leak for some time. During the operation of the plane hot air with temperatures of around 300 degrees C had caused a weakening of the insulation material of electricity wires and the airplane controls. Immediately after takeoff on the ill-fated flight, a short-circuit occurred. Sparks with a temperature of up to 2000 degrees C caused substanial melting and ultimately a fire in the nr. 4 cargo bay which was located in the rear of the plane. The fire weakened the fuselage structure, causing the tail section to fail in-flight. Gruss Jakov Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Roberto Geschrieben 18. Januar 2007 Teilen Geschrieben 18. Januar 2007 Genauso sind mir die Informationen auch bekannt. Ich besitze übrigens (bei tiefergehendem Interesse an dieser Flugkatastrophe) den Fernsehmitschnitt einer Reportage. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Hans Tobolla Geschrieben 19. Januar 2007 Teilen Geschrieben 19. Januar 2007 Hallo, zu bedenken ist auch, dass bei schweren Turbulenzen hohe Beschleunigungskräfte und Biegemomente entstehen. Auch aus diesem Grund macht es m.E. wirklich Sinn, die schweren Triebwerke möglichst dort anzubringen, wo die Resultierende der Auftriebskräfte angreift. Gruß! Hans Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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