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Russischer Flugzeugbau: Probleme und Lösungen


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Hi zusammen,

 

beim browsen der News auf RIA Novosti bin ich auf einen Artikel gestossen, den einige hier vielleicht interessiert. Es geht um den Zustand der russischen Aviatik im allgemeinen und die geplante neue allumfassende Holding OAC im Speziellen. Auch wenn die Angaben von rian.ru teilweise mit Vorsicht zu geniessen sind, hier der Artikel:

 

Die russischen Flugzeugbaubetriebe sollen demnächst unter dem Dach einer Holding zusammengefasst werden. Nach Ansicht von Experten wird dieser Schritt der Branche Aufwind geben.

 

MOSKAU, 11. Oktober (Juri Saizew für RIA Novosti). Der russische Präsident Wladimir Putin hat am 20. Februar 2006 den lang ersehnten Erlass über die Gründung der Vereinigten Flugzeugbaugesellschaft OAC unterzeichnet. Die juristischen Formalitäten sollen zum Dezember dieses Jahres abgeschlossen sein.

 

Der Staat soll über 51 Prozent der Anteile an der Gemeinschaftsstruktur halten. Es handelt sich derzeit um 19 juristische Personen, die zusammengeführt werden. Fast alle von ihnen sind aus der Industrieepoche hervorgegangen und umfassen jeweils einen kompletten Produktionszyklus an einem Ort. Das bedeutet etwa 100 000 Mitarbeiter in der Finalproduktion und weitere 20 000 in Konstruktionsbüros.

 

In der ersten Phase werden etwa 25 Prozent des Fusionskapitals privat bleiben. Daraufhin sollen neue Aktien emittiert werden. Von März bis Mai 2007 sollen die Flugzeugbauer MiG und KAPO Gorbunow, die derzeit in Aktiengesellschaften umgewandelt werden, in die Holding einsteigen. Zudem zeigen die Verhandlungen mit einer großen Gruppe privater Aktionäre, dass die Bereitschaft besteht, ihre Papiere in Aktien der zur Gesellschaft gehörenden Betriebe oder der OAC selbst zu konvertieren. Der Anteil des Privatkapitals an der OAC soll in der Zukunft bei 40 Prozent liegen.

 

Die Situation im russischen Flugzeugbau sieht wie folgt aus: Militärische und zivile Maschinen werden serienmäßig in 13 Betrieben montiert. Dabei sind die Kapazitäten durchschnittlich zu 35 Prozent ausgelastet. Die Produktions- und Technologiebasis wurde seit den 70er Jahren nicht mehr erneuert. Der größte Teil der Produktionsfonds - 83 Prozent - weist einen hohen Verschleiß auf. Nur drei Prozent der 10 000 Bearbeitungsmaschinen haben ein Arbeitstempo von mehr als 5000 Umdrehungen pro Minute. Das Durchschnittsalter des Personals liegt über 50 Jahren. Nur knapp zehn Prozent sind qualifizierte Arbeiter. Die Automatisierung der Branche lässt zu wünschen übrig.

 

Laut Waleri Beswerchni, Präsident der nicht kommerziellen Partnerschaft "Vereinigtes Flugzeugbau-Konsortium", ist eine komplette Umstellung der Branche auf neue Prinzipien und Technologien als vorbereitende Stufe bei der Gründung der OAC erforderlich. Aber die Finanzierungsquellen für eine solche Umstellung seien bislang nicht gefunden worden. Zugleich haben überflüssige Kapazitäten immense Kosten zur Folge, wodurch selbst die erfolgreichsten Betriebe sich nicht ganz sicher fühlen können. Es besteht die reale Gefahr, dass einige Flugzeugbaubetriebe stillgelegt werden.

 

Besonders akut ist das Problem in der zivilen Sparte der russischen Flugzeugindustrie. Nach Prognosen von Experten soll die Nachfrage nach Lufttransporten in den nächsten 20 Jahren um mindestens sieben Prozent steigen. Zur Deckung dieser Nachfrage werden rund 1500 Flugzeuge erforderlich sein. Indessen werden in Russland nur etwa zehn Maschinen im Jahr gebaut, weniger als ein Flugzeug im Monat. Zum Vergleich: Bei Boeing oder Airbus rollt jeden Tag je ein Flugzeug vom Band.

 

Die Zivilmaschinen des Typs Iljuschin Il-96 sowie Tupolew Tu-204 und Tu-214 waren bereits zur Sowjetzeit entwickelt worden. Aber auch nach 15 Jahren werden diese Maschinen nur in wenigen Exemplaren hergestellt. Eine Ausnahme ist lediglich die Modifikation Tu-204-120 mit Rolls-Royce-Triebwerken und Bordausrüstungen der Firma Honeywell. Die Tu-334, an der seit 1985 gearbeitet wird, kann immer noch nicht serienmäßig gebaut werden.

 

Die Situation im zivilen Flugzeugbau soll durch das 2005 beschlossene neue Format des föderalen Zielprogramms zur Förderung der Zivilluftfahrt verbessert werden. Das Programm hat zum Ziel, aussichtsreiche russische Projekte massiv zu unterstützen, und operiert unter anderem mit solchen Begriffen wie Übergangs- oder Durchbruch-Projekt. Die meisten Investitionen sollen gerade in diese Entwicklungen fließen. Als ein Übergangsprojekt gilt das Projekt des russischen Regionaljets RRJ der Firma Suchoi. Alle Entwicklungen werden demnächst abgeschlossen, worauf die serienmäßige Produktion vorbereitet werden soll. Aber selbst nach der optimistischsten Prognose geschieht das nicht vor 2007. Das heißt, dass die russische Maschine fünf Jahre nach dem Analogon Embraer und etwas später als die ukrainische Antonow An-148 auf dem Markt erscheinen wird. Es liegt klar auf der Hand, dass die RRJ die Nische der Flugzeuge mit 70 Sitzen verlassen und sich auf Modifikationen mit 95 und später mit 110 Sitzen konzentrieren sollte.

 

Ein Durchbruchprojekt im russischen zivilen Flugzeugbau wird erst diskutiert.

 

Mit welchen Maschinen fliegen die russischen Passagiere, wenn die einheimische Industrie so gut wie gar nichts produziert?

 

In Russland gibt es gegenwärtig knapp 180 Flugunternehmen. Die 25 größten davon kontrollieren bis zu 90 Prozent der Lufttransporte. Bei 75 Prozent der Flüge sind veraltete Maschinen sowjetischer Bauart, bei 18 Prozent westliche Flugzeuge und nur bei sieben Prozent neue Flugzeuge russischer Produktion im Einsatz. Der Park der Zivilflugzeuge Russlands beläuft sich zurzeit auf etwa 675 Maschinen. 500 davon sollen zum Jahr 2012 abgeschrieben werden. Der Park setzt sich größtenteils aus Tu-154 und Tu-134 zusammen. Die Betriebszeit der meisten davon läuft in zwei bis sieben Jahren ab.

 

Dennoch liegen die russischen Fluggesellschaften dem Umfang der Binnen- und der internationalen Flüge nach vor den westlichen Konkurrenten. 2005 beförderten die russischen Flugunternehmen 35 Millionen Passagiere, während diese Zahl bei den westlichen Gesellschaften bei knapp zehn Millionen lag. Unter Berücksichtigung des hohen Verschleißgrades der Flugzeuge und der harten Position des Westens, dass die Maschinen russischer Bauart den internationalen Standards nicht entsprechen, wird Russland seine Positionen in der Zukunft ziemlich schnell verlieren. Aber die Konkurrenten schlafen nicht und werden die freie Geschäftsnische schnell besetzen.

 

Der US-Flugzeugbauer Boeing und der Europäische Luftfahrt- und Verteidigungskonzern EADS rechnen mit zunehmenden Aufträgen zur Lieferung von Passagiermaschinen nach Russland und bereiten sich auf einen scharfen Konkurrenzkampf auf dem russischen Markt vor. EADS-Tochter Airbus will bis 2024 etwa 300 Maschinen im Gesamtwert von 20 Milliarden US-Dollar an Russland liefern und Boing somit in die Enge treiben. Bislang haben die Amerikaner bessere Positionen auf dem russischen Markt, vor allem durch den Verkauf von gebrauchten Flugzeugen. 80 Prozent der 180 westlichen Maschinen, die in Russland und anderen Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zum Einsatz kommen, sind Boeing-Flugzeuge.

 

Im Kampf um den russischen Markt und höhere Anteile daran arbeiten sowohl Boeing als auch Airbus immer aktiver mit russischen Flugzeugbauunternehmen zusammen, indem sie deren Kapazitäten und Personal immer mehr auslasten. Das russische Unternehmen Irkut, an dem EADS zehn Prozent der Anteile hält, stellt im Auftrag von Airbus einzelne Teile und Aggregate für Airbus-Maschinen her. Zudem bietet das europäische Konsortium Russland eine 10- bis 15-prozentige Beteiligung an einem Programm zur Modernisierung von A-320 an. Seinerseits kooperiert Boeing mit Suchoi im Rahmen des oben genannten RRJ-Programms.

 

Aber Europa und Russland sind einander nicht nur in geographischer Hinsicht näher. Vor kurzem gab der russische Präsident Wladimir Putin bekannt, dass Russland fünf Prozent der EADS-Aktien erworben habe. Dies führt möglicherweise zur Kürzung der zuvor geplanten Zahl der zu erwerbenden Boeing-Maschinen von 40 auf 20 Stück. Statt Boeings sollen 22 Airbus-Flugzeuge gekauft werden. Allerdings werden sich die russischen Flugunternehmen gezwungen sehen, einen im Vergleich zu russischen Flugzeugen doppelt so hohen Preis für die westlichen Maschinen zu zahlen. Das werden sich bei weitem nicht alle Fluggesellschaften leisten können, sondern nur die größten und besonders zahlungskräftigen. Aber dabei werden sie erheblich an den Betriebskosten sparen. So verbraucht eine Tu-154M in einer Flugstunde um etwa 2,5 Tonnen mehr Treibstoff als eine ähnliche Maschine vom Typ Boeing-737. Der Anteil des Treibstoffs an den Flugticketkosten liegt im Westen bei 20 bis 22 Prozent, während diese Zahl in Russland im Schnitt 45 Prozent beträgt. Und das vor dem Hintergrund der unentwegt steigenden Ölpreise auf dem internationalen Markt! Das Sparen von Treibstoff macht die Flüge rentabler, wodurch sich die Möglichkeit bietet, neue wirtschaftliche Fluglinien zu eröffnen.

 

Für ein neues Flugzeug muss man sofort und sehr viel zahlen, was nicht alle Flugunternehmen verkraften würden. Mehrere Experten sehen einen Ausweg in einem liberalisierten Leasing als provisorische Maßnahme bei der Wiederbelebung des russischen Flugzeugbaus. Neben der Senkung der Importzölle für ausländische Flugtechnik soll auf gesetzgebender Ebene auch die Frage der zeitlichen Einschränkungen für den Betrieb westlicher Flugzeuge durch russische Fluggesellschaften geklärt werden. Ansonsten wird der russische Binnenmarkt durch gebrauchte Flugzeuge westlicher Produktion überflutet, was zu einem ernsthaften Hindernis bei der Gesundung der russischen Flugzeugindustrie werden könnte. Zudem wird der Absatz neuer konkurrenzfähiger Erzeugnisse des russischen Flugzeugbaus ernsthaft erschwert. Mit diesem Absatz rechnen Experten etwa zum Jahr 2012. Das wird dank einer vernünftigen Strategie zur Entwicklung und Erhaltung des Flugzeugparks in Kooperation von Flugunternehmen mit der künftigen OAC möglich sein.

 

Zu den Perspektiven der zivilen Frachtluftfahrt sagte der Generaldirektor der Fluggesellschaft Wolga-Dnepr, Gennadi Piwowarow, dass dabei drei vorrangige Aufgaben gestellt werden sollten: Erhaltung der führenden Positionen auf dem Markt von Charterflügen mit Großraumflugzeugen, die keine Konkurrenten in der Welt haben; Festigung der Positionen der russischen Carrier auf dem Markt der regulären Frachttransporte; Förderung des russischen Marktes für den Express-Güterverkehr. Erforderlich ist, Maschinen der Typen Il-96 wie auch Tu-204 und An-148 in Fracht-Modifikationen weiter zu produzieren und zu betreiben. "Die Infrastruktur des Luftverkehrs soll organisiert sowie gemäß den Markterfordernissen auf Transit-, Export- und Importgüter, aber auch auf die Schaffung eines Systems zur technischen Betreuung von Flugunternehmen und von Gesellschaften orientiert sein, die für Gütertransporte zuständig sind", sagte Piwowarow.

 

Der Generaldirektor der Fluggesellschaft Aeroflot, Waleri Okulow, ist der Ansicht, dass die russische Regierung die Modernisierung von Flughäfen im östlichen Teil des Landes unzureichend finanziert. Das hindere deutlich den Einsatz einheimischer Großraumflugzeuge für die Beförderung von Passagieren in diese Region. Zudem gestattet es das Fehlen von Ausweichflughäfen Aeroflot nicht, die Passagiertransporte innerhalb des Landes effektiver zu gestalten, so Okulow.

 

Zum Schluss sei betont, dass die Notwendigkeit einer Vereinigung der russischen Flugzeug-, Hubschrauber- und Triebwerksproduzenten schon längst herangereift ist. Eine Hubschrauberholding ist bereits Wirklichkeit. Im Triebwerksbau spielen sich aktive Integrationsprozesse ab. Die Gründung der Vereinigten Flugzeugbau-Gesellschaft wird es gestatten, staatliche Investitionen und Privatkapital zusammenzulegen, die innere Konkurrenz abzuschaffen und internationale Märkte aktiver für Erzeugnisse der einheimischen Flugzeugindustrie zu erschließen. Nach Expertenschätzung dürfte die Produktion in den nächsten zehn Jahren um 100 bis 150 Prozent zunehmen. Russland würde bis zu zehn Prozent des weltweiten Marktes für Flugtechnik kontrollieren können.

 

(Autor Juri Saizew ist Berater in der Akademie der ingenieurstechnischen Wissenschaften Russlands)

 

Original-Artikel bei RIA Novosti

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