Thermikus Geschrieben 28. Juni 2006 Teilen Geschrieben 28. Juni 2006 Beim Stöbern in historischer Luftfahrtliteratur stiess ich bereits vor längerer Zeit auf eine hoch interessante bebilderten Reportage über die Erprobung des ersten zweistrahligen Düsenjägers der Welt, der seinerzeitigen deutschen Messerschmitt Me 262. Diese Me 262 hatte anfangs ein Spornradfahrwerk, das später wegen des Schmelzens der Asphaltdecke der Startbahn durch heisse Triebwerkabgase und der erheblich besseren Sichtverhältnisse für den Flugzeugführer nebst einem wesentlich einfacheren Handling des Jägers auf ein Bugradfahrwerk umgerüstet wurde. Eine weitere Besonderheit der ersten Prototypen der Me 262 waren korbähnliche Vorsätze vor den beiden Triebwerkeinläufen, die dann bei den Bugradversionen nicht mehr in Erscheinung traten. Offensichtlich wollte man damals mit diesen (noch beulenartig runden) Metallkörben vor den Triebwerkeinläufen verhindern, dass Fremdkörper (Vögel etc.) angesaugt wurden und die empfindlichen Strahlturbinen beschädigten. Bis heute ist Vogelschlag und die Beschädigung von Triebwerken bis zum Totalausfall ein aktuelles Thema. Bei Turbinen-Hubschraubern aller Kategorien kann man den Schutz von Triebwerkeinläufen durch Drahtgeflechte auch heute immer wieder beobachten. Die Frage stellt sich für mich, warum ist das bei Flächenflugzeugen nicht möglich? Wenn der Schutz der Triebwerkeinläufe durch stromlinienförmige dünne und trotzdem hochfeste Metallgerüste, die nur so engmaschig sein müssten, dass grössere Vögel abgewiesen werden könnten, garantiert würde, sollte der zusätzliche Luftwiderstand in Grenzen gehalten werden können. Vielleicht müsste der Durchmesser der Triebwerkeinläufe geringfügig vergrössert werden, um trotz des Schutzes genügend Luft in die Triebwerke gelangen zu lassen. Auch einer Vereisung des Gitterschutzes vor den Triebwerkseinlässen könnte durch entsprechende Beheizung unter Vereisungsbedingungen entgegengewirkt werden. Also warum ist es bis heute nicht möglich - bei Flächenflugzeugen mit Jet-Antrieb das Problem des Ansaugens von Vögeln und Fremdkörpern in die Treibwerke zu verhindern? Deitwolf - (Thermikus):confused: Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Spitfire Mk XIX Geschrieben 28. Juni 2006 Teilen Geschrieben 28. Juni 2006 Nun, wie Du selber sagst, werden solche Gitter vor allem bei Hubschraubern seit langem verwendet. Teilweise können sogar noch spezielle Filter und particle separator für den Einsatz bei Schnee oder in staubiger Umgebung (Wüsten etc.) montiert werden. Auch bei Turboproptriebwerken sind solche Gitter üblich (vgl. beispielsweise die PT6). Auch dort wird die Luft üblicherweise noch über weitere Umlenkungen geleitet um Eis oder Fremdkörper "auszusortieren". Aber der Vergleich dieser Einrichtungen (Gitter, particle separator) mit Strahltriebwerken hinkt, weil a) der Luftdurchsatz viel grösser ist und b) meist auch die Einströmgeschwindigkeit ins Triebwerk erheblich höher liegt. Beides führt dazu, dass auch filigrane Konstruktionen zu einem beträchtlichen Hindernis im Luftstrom werden. Weiter kommt es hinter solchen Netzen/Gittern zu Verwirbelungen, die man auf der ersten Stufe des Verdichters nicht haben möchte. Und wenn man die Querschnittsfläche eines typischen Mantelstromtriebwerks mit einem "vogelwirksamen" Schutzgitter abdecken möchte, dann müsste die Konstruktion schon sehr stabil sein, wenn sie beispielsweise den Aufprall eines Greifvogels auffangen sollte. Ist sie nämlich nicht genügend stabil, so "rasseln" schliesslich nicht nur der abzubremsende Vogel sondern das ganze Gitter durch das Triebwerk - der Schaden wäre also noch grösser als ohne Schutz. Im übrigen haben wir in der Schweizer Luftwaffe auf den Flugzeugen DH 100, DH 110 und DH 115 (Vampire, Venom) und Mk 58 Hunter solche Abdeckgitter für den Betrieb am Boden verwendet. Sie wurden jeweils an den abgestellten Flugzeugen montiert und jeweils kurz vor dem Start entfernt. Verschiedene Kollegen sind aus Versehen - z.B. bei einem Alarmstart - mit einem oder zwei dieser gelb gestrichenen Drahtgitter vor den Triebwerkeinlässen gestartet. Das Flugzeug war zu fliegen, aber der Leistungsverlust beträchtlich. Bei den Vampires, welche noch über keine automatische Treibstoffregulierung verfügten, bestand zudem die Gefahr, dass die höchstzulässige Turbineneintrittstemperatur überschritten wurde und das Triebwerk nicht Federn aber Turbinenschaufeln lassen musste. Dass bei überschallfähigen Flugzeugen sowieso jedes Hindernis im Luftstrom vermieden wird, muss wohl nicht mehr weiter ausgeführt werden. (Die Fachleute werden mir nun die "Souris" der Schrägstossdiffusoren z.B. bei den Mirage III entgegenhalten, aber das ist wieder eine andere Geschichte ;) ) Gruss Dan Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Webwings Geschrieben 28. Juni 2006 Teilen Geschrieben 28. Juni 2006 Hallo, ich schätze mal - bei meinem bescheidenen Ingenieurswissen, das dank meiner praktischen Berufstätigkeit in den letzten Jahren ungenutzt vor sich hin gerottet ist - dass vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend sind. 1) Damit der Luftstrom zu den Triebwerken nicht allzu stark verwirbelt oder anderweitig gestört wird (was bei den schnellfliegenden Jettriebwerken kritisch ist...beim Heli ist dies kein Thema), müsste man sehr spezielle und dünne Gitter verwenden (ähnlich wie in Windkanälen, wo Gleichrichterelemente die vom Gebläse verwirbelte Luft "kanalisieren"). Allerdings würde so ein dünnes Gitter - populär ausgedrückt - bei Geschwindigkeiten ab 200kt wie ein Pommes-Frites-Gitter funktionieren, und Vögel vermutlich gleich in Vierkantstäbchen zerlegen, womit der Vogel also (nun halt portioniert, aber doch in seiner ganzen Masse) in das Triebwerk gelangt. Und ob ein so dünnes Gitter einen Schwan mit 250kt oder gar 300kt erträgt, wage ich zu bezweifeln. Selbst hochstabile Radarnasen werden von grösseren Vögeln beim Aufprall komplett zerschlagen. Und wenn dann alles - Vogel inklusive Gitter - durch das Triebwerk geht, dann wird alles noch viel schlimmer als bei einem Vogelschlag ohne Gitter. 2) Selbst wenn wir ein Gitter hätten, das den Anforderungen bezüglich Stabilität entspricht, und der Vogel nicht in Stäbchen geschnitten wird, würde er am Gitter "zerschlagen" und würde kleben bleiben. Dabei würden seine Überreste den sensiblen Luftstrom zum Triebwerk abschatten und damit definitiv so stören, dass höchstwahrscheinlich ein Triebwerksausfall die Folge wäre. Und dann haben wir wiiederum das erreicht, was niemand wollte: Ein totes Triebwerk. Dies (und vermutlich noch andere Faktoren) haben bis jetzt verhindert, dass solche Gitter verwendet werden. Aber ich bin gespannt auf die Infos unserer Aerodynamik-Profis. Liebe Gruess, Markus EDIT: Ich bin einfach zu langsam beim Schreiben... 1:0 für Dan (sehr schöne Erklärung und spannende Infos aus der LW!) :) Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Thermikus Geschrieben 28. Juni 2006 Autor Teilen Geschrieben 28. Juni 2006 Vielen Dank Kollegen, für die sehr interessanten und technisch einleuchtenden Begründungen, warum den Triebwerken von Flächen-Jets eben kein "Maulkorb" verpasst werden kann. Deshalb hatte man wahrscheinlich diese Form der Fremdkörperabwehr auch bereits bei der Erprobung der Me 262 fallen gelassen. Die Abwehr von Fremdkörpern, z.B. von Flugsand im Wüsteneinsatz des Kolbenjägers Me 109 "Tropic" in Nordafrika während des zweiten Weltkrieges wurde mit speziellen Filtern erreicht. Aber das ist ein besonderes Thema und kann mit Düsentriebwerken nicht verglichen werden. Ich habe bei den Jets weniger an ein stumpfes Gitter vor den Triebwerkeinläufen gedacht, sondern an eine sich nach vorne verjüngende Form. Aehnlich wie bei einem Stahlhelm die Kugel, sollte ein Vogel z.B. beim Auftreffen auf das Schutzgitter im flachen Winkel nach hinten weggeschleudert werden und durch diese Streifkollision vielleicht gar keine Beschädigung am Gitter verursachen. Aber dann dürfte wieder das Problem auftreten, dass das Triebwerk nicht genügend Luft zugeführt bekommt bzw. schädliche Verwirbelungen entstehen. Aeusserst interessant ist der Hinweis auf das Vergessen des Entfernens der seinerzeit während der Triebwerkläufe am Boden angebrachten Schutzgitter an den Einläufen der Venom und die nachteiligen Folgen dieser Unterlassung im Flug. Das wäre wieder ein Top-Thema für die Rubrik "Checklisten". Es wäre sehr aufschlussreich, wenn zu diesem Themenkreis einmal ein Aerodynamiker zu Wort kommen könnte. Danke - und Gruss - Dietwolf (Thermikus):006: Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Hägar Geschrieben 29. Juni 2006 Teilen Geschrieben 29. Juni 2006 Eine weitere Besonderheit der ersten Prototypen der Me 262 waren korbähnliche Vorsätze vor den beiden Triebwerkeinläufen, die dann bei den Bugradversionen nicht mehr in Erscheinung traten. Um bei der historischen Wahrheit zu bleiben, auch die Me 262 flog nie mit diesen Gittern, die übrigens auch bei Bugradversionen verwendet wurden. Gerade die frühen Flüge der verschiedenen Prototypen sind gut fotografisch dokumentiert, um das belegen zu können. Alle Aufnahmen, auf denen die Maschinen mit diesen "Körben" zu sehen ist, zeigen Bodenaktivitäten wie z.B Betankung oder Standläufe. Schon damals wurde erkannt, dass Schutzgitter, die von den Zwischenräumen her eng genug und von der Strebenstärke her massiv genug wären, um bei Jet-typischen Geschwindigkeiten Vögel abzuwehren, aus aerodynamischen Gründen völlig untragbar sind. Gruss Ruedi Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Thermikus Geschrieben 29. Juni 2006 Autor Teilen Geschrieben 29. Juni 2006 Um bei der historischen Wahrheit zu bleiben, auch die Me 262 flog nie mit diesen Gittern, die übrigens auch bei Bugradversionen verwendet wurden. Gerade die frühen Flüge der verschiedenen Prototypen sind gut fotografisch dokumentiert, um das belegen zu können. Alle Aufnahmen, auf denen die Maschinen mit diesen "Körben" zu sehen ist, zeigen Bodenaktivitäten wie z.B Betankung oder Standläufe. Schon damals wurde erkannt, dass Schutzgitter, die von den Zwischenräumen her eng genug und von der Strebenstärke her massiv genug wären, um bei Jet-typischen Geschwindigkeiten Vögel abzuwehren, aus aerodynamischen Gründen völlig untragbar sind. Gruss Ruedi Danke für die Information. Ich habe nur ein Bild der Spornrad-Me 262 gesehen, die tatsächlich noch am Boden stand. Bei den Bugradversionen habe ich allerdings noch nie Schutzgitter vor den Triebwerkeinläufen gesehen - weder am Boden, noch in der Luft. Gruss - Dietwolf (Thermikus):eek: Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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