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Geschrieben

Dieser Tag ist immer etwas speziell. Je näher die Abflugszeit kommt, desto eher ist man gezwungen Sachen zu machen, die man eigentlich gar nicht mag. Muss ich die erste Schicht schieben, also die ersten 9 bis 10 Stunden in der Kanzel sitzen, versuche ich im Zustand absoluter Wachheit, vor dem Flug ein paar Stunden zu schlafen. Der Planungscomputer kennt dafür das nicht nachvollziehbare Kürzel ‚V’. Ich kann mir weder in Englisch noch in den restlichen vier Landessprachen vorstellen, wofür das ‚V’ steht, vermute aber, dass es etwas mit ‚verheizen’ zu tun hat.

 

Die zweite Schicht wird ‚W’ genannt, auch eine absolut nicht erklärbare Abkürzung. Ich schiebe heute Nacht diese Schicht und darf kurz nach dem Start in die Koje liegen und je nach Mitleid des Kapitäns, der wie immer das Filetstück bekommt und sich in der Mitte des Fluges flach legt, vier bis fünf Stunden schlafen.

Jetzt sind wir schon beim wichtigsten Punkt der Flugvorbereitung des ‚W’-Copiloten: Man muss möglich müde den Flugdienst antreten, um erstens das Mitleid des Kapitäns zu erregen und zweitens erschöpft genug ist, um im Crewbunk wenigstens ein paar Minuten in einen schlafähnlichen Zustand zu fallen.

Das ist auf dem Heimflug von Hongkong schwieriger als man auf den ersten Blick bei einer Abflugszeit so um Mitternacht vermuten könnte. Wir umfliegen das Himalayagebirge nördlich und kommen dank den stabil starken Winden regelmässig in den Genuss von mittleren bis starken Turbulenzen. Das war in den letzten zehn Jahren so und wird auch heute nicht anders sein.

Sobald China hinter uns liegt, hört die Schüttlerei schlagartig auf und das ist etwa nach vier bis fünf Stunden, also dann, wenn der Chef sich schlafen legt. So viel zu den Filetstücken.

 

Apropos Filet, als ‚W’ verpasse ich die Völlerei des normalen Service und muss mich vor dem Flug verpflegen. Dies zu einer Zeit, wo der Körper eher nach einem kalten Bier statt nach scharfer Nahrung schreit. Bier ist aus verständlichen Gründen tabu und scharfe Nahrung sollte ich so kurz vor der befohlenen Nachtruhe auch nicht unbedingt in mich hineinstopfen. Ein Restaurant zu finden, das in Hongkong schwach gewürzte Speisen serviert und im Getränkeangebot auch anderes führt, als Leitungswasser und Bier, ist eine nicht leicht zu lösende Aufgabe.

 

Den Lohn für die heutigen Strapazen darf ich dann am Sonntagmorgen in der Früh ernten. Mir steht die Landung zu und das entschädigt doch für einiges. Müde werde ich sein, doch Adrenalin und eine gute Vorbereitung hier in Hongkong werden dafür sorgen, dass ich beim Eindrehen auf den Leitstrahl der Landepiste im vollen Besitze meiner Kräfte sein werde.

 

Wenn sie als Passagier nach der Landung einmal eine Cockpitbesatzung zu Gesicht bekommen erschrecken sie nicht, die zwei jämmerlichen Figuren neben dem frischen Kapitän sind die Copiloten. Ihr Äusseres hat nichts mit mangender Arbeitseinstellung zu tun, sondern ist das Resultat konsequenter Durchsetzung des ‚V’- & ‚W’-Regimes. Oder anders gesagt, bei der Fliegerei ist es wie im richtigen Leben: Nicht jeder kriegt das Filetstück.

 

 

Nachtrag:

das Adrenalin hat bis 5ft AGL gereicht, dann hätte ich doch besser etwas mehr gezohen.... BUM

Geschrieben

Hallo Peter.

 

Lässt sich super Lesen dein kleiner Erfahrungsbericht.

 

Bei welcher Airline bist du denn wenn ich dich fragen darf?Hört sich alles in deinem Blog so chinesisch an.

Geschrieben

Wunderbarer Bericht Peter, es war eine wahre Freude ihn zu lesen (und zu schmunzeln).

 

Vielen Dank und auf viele weitere solcher Berichte von dir! :)

swissglobaltraveller
Geschrieben

Zum Thema "BUM" erlaube ich mir noch einen Beitrag von Peter aka NFF aus einem anderen Blog reinzuhängen.

 

 

Einen guten Morgen aus Tokio!

 

Nach einigen Stunden Stotterschlaf im Land der aufgehenden Sonne bzw. im Land der schlaflosen Flugbesatzungen, versuche ich kompetent, sofern das ein Copilot überhaupt kann, Antwort zu geben.

 

Harte Landungen können viele Ursachen haben. In der Grundausbildung werden wir neben dem Landetraining auch intensiv im Erfinden von Ausreden geschult. Ich möchte hier nicht weiter in die Details gehen, möchte aber betonen, dass grundsätzlich immer die Anderen schuld sind.

Diese unkonfortablen Aufsetzer, weit jenseits der 1g Grenze, werden ich der Schweiz liebevoll 'Chlapf' genannt. Unterschieden werden da grosse, mittlere und kleine 'Chlapfs'.

 

Kleine 'Chlapfs' sind nur in den jungen Flugjahren ein Problem. Die jungen Copiloten fliegen die kleinen Maschinen und glauben mit grosser Überzeugung, dass eine weiche Landung den Zugang zum Herz der schönen Flugbegleiterin öffnet. Ältere Semester fliegen grosse Pötte und grosse Pötte fliegen weite Strecken. Auf weiten Strecken wird man müde und ist froh, wenn ein kleines Rumpeln daran erinnert, dass man die Destination endlich erreicht hat.

Mit den vielen Flugstunden auf dem Buckel ist auch die Illusion gestorben, dass man den hübschen Flugbegleiterinnen Eindruck machen kann.

 

Mittlere 'Chlapfs' entstehen fast immer bei wunderschönem Wetter. Der steuernde Pilot hat vor lauter Nichtstun vergessen den Flieger zu landen. Eine Runde Bier löst die Spannungen in den Lendenwirbelsäulen der Flugbegleiterinnen in der Regel recht erfolgreicht.

 

Grosse 'Chlapfs' sind ärgerlicher. Das ist der Moment wo der Drucker im Cockpit zu rattern beginnt und die Mechaniker die Werkzeugkisten ausfassen. Ein 'hardlanding check' steht an und das kostet Geld, Zeit und Nerven.

Das sind dann die Momente, wo niemand es wagt einen doofen Spruch zu machen und alle schweigend im Crewbus sitzen und den Blickkontakt zum Verursacher tunlichst vermeiden.

 

Alle drei 'Chapfkategorien' gehören zum Erfahrungsschatz jedes einzelnen Piloten. Zu den oben beschriebenen Landungscharakteristiken muss man noch anfügen, dass vereinzelte ältere Kapitäne wieder in den Status der Jungflieger zurückfallen. Plötzlich erwacht das Verlangen nach jungen Flugbegleiterinnenherzen wieder und das endet nicht selten im 'Mega-Chlapf'. Beim 'Mega-Chlapf' rattern nicht die Borddrucker, sondern die durchgestylten Laserprinter in den Scheidungsanwaltsbüros der Heimatgemeinde. Das wiederum erklärt die temporäre Häufung von mittleren 'Chlapfs' bei vierstreifigen Individuen.

 

Hoffe gedient zu haben und versuche noch etwas zu dösen, sonst gibts es Morgen in ZRH einen 'Chlapf'.

 

  • 2 Wochen später...
Geschrieben

peter, peter!:cool:

 

Wunderbar, wie immer. Habs dir auch schon in deinem Blog geschrieben.

 

Ich erlaube mir mal Malte's Frage zu beantworten..... also chinesisch ist's bestimmt nicht, sondern eher SWISS-chinesisch:005:

 

 

Gruss aus Athen

Andreas

Geschrieben
Das sind dann die Momente, wo niemand es wagt einen doofen Spruch zu machen und alle schweigend im Crewbus sitzen und den Blickkontakt zum Verursacher tunlichst vermeiden.

 

:D :D :D

 

 

Cheers,

Berni

Geschrieben
Alle drei 'Chapfkategorien' gehören zum Erfahrungsschatz jedes einzelnen Piloten. Zu den oben beschriebenen Landungscharakteristiken muss man noch anfügen, dass vereinzelte ältere Kapitäne wieder in den Status der Jungflieger zurückfallen. Plötzlich erwacht das Verlangen nach jungen Flugbegleiterinnenherzen wieder und das endet nicht selten im 'Mega-Chlapf'. Beim 'Mega-Chlapf' rattern nicht die Borddrucker, sondern die durchgestylten Laserprinter in den Scheidungsanwaltsbüros der Heimatgemeinde. Das wiederum erklärt die temporäre Häufung von mittleren 'Chlapfs' bei vierstreifigen Individuen.

 

 

Der ist einfach köstlich...:008:

Geschrieben

Salü Peter

 

Wie immer ein wunderbarer Bericht, der einen guten Eindruck in das Leben eines Langstreckenpiloten gibt.

 

Wie gross ist eigentlich der Crew Bunk auf dem A340. Von Videos her kenne ich diejenigen der MD11, diese zwei "Röhren" erinneren mich jedes Mal an ein ultra mordernes MRI im nahen Spital :)

 

 

Gruss

Dani

Geschrieben

Wundervoller Text... Wie immer ein Genuss zu lesen.

Nicht alles ist Gold was glänzt. Das spürt man bei deinen Berichten aus dem Pilotenalltag immer wieder. Solche stellen wie:

Mir steht die Landung zu und das entschädigt doch für einiges.

.. zeigen allerdings dass du trotz den Strapazen, die euch Piloten alltäglich wiederfahren, Freude an deinem Beruf hast.

 

Ich freue mich auf weitere tolle Berichte!

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