Thermikus Geschrieben 24. Mai 2006 Teilen Geschrieben 24. Mai 2006 Manchmal - in einer ruhigen Stunde - krame ich in Fotoalben und anderen Unterlagen, um alte Erinnerungen wieder aufzufrischen. Plötzlich halte ich einen Barogrammstreifen in der Hand. Die wellenfömige Aufzeichnung des Flugschreibers, welche die nach meinem Empfinden schweisstreibendste Bedingung für die Silber-C, den 5-Stunden Dauerflug dokumentiert, scheint endlos zu sein. Je ein senkrechter Strich markiert Start und Landung. 21. August 1966 - Flughafen Köln-Bonn: Herrliches Sommerwetter mit Wolkenstrassen, so weit das Auge reicht. Unsere Ka 8b mit rotem Rumpf und Leitwerk sowie beigen Tragflächen steht parat. Der Barograph hinter der Kopfstütze tickt wie eine Zeitbombe. Ich hake die Gurte am automatischen Fallschirm ein und schnalle mich fest. Funkgerät ein. Nachdem eine Boeig 727 der Lufthansa fünfzig Meter neben mir die Startbahn entlang gedonnert ist, erhalte ich vom Tower die Startfreigabe. Gespannt beobachte ich, wie sich das Windenseil langsam strafft. Ein Kribbeln kriecht langsam den Rücken herauf, dann ein kräftiger Ruck und schon bin ich vom Boden frei. Nachdrücken - und dann in 5o Meter Höhe Knüppel in Normalstellung. Der Windenfahrer zerrt mich hoch, als wolle er mich zum Mond schleudern. Fast wie ein Astronaut liege ich auf dem Rücken - es rauscht und pfeift. In dieser Phase habe ich immer ziemlich Fracksausen. Rein gefühlsmässig kommt bei diesen rasanten Steigflügen immer der Eindruck auf , der ganze Vogel müsse gleich auseinanderfallen. Mit einem Blick nach unten kontrolliere ich anhand der hellen Betonstartbahn, ob die Richtung stimmt und ich nicht etwas zu weit nach links oder rechts abdrifte. Der Steigwinkel wird flacher, die Fahrt geht etwas zurück - klack! Das Schleppseil hat sich automatisch ausgeklinkt. Ich klinke dreimal nach - jetzt ist es ganz sicher weg. 450 Meter - nicht schlecht! Linkskurve - direkt auf eine dicke Cumulus-Wolke zu, die vor mir aufquillt. Unter dem der Sonne zugewandten Bereich der Wolke geht es los. Das grüne Kügelchen des Varios flitzt in der thermometerähnlichen Röhre hoch, das rote bleibt unten. Steigen! Es ist ein Gefühl, als hätte ein Schatzsucher eine Kiste Gold gefunden. Mit intensivem Kurven versuche ich, den Thermikschlauch nicht mehr zu verlieren. Bald steige ich konstant mit 3 Metern pro Sekunde. Der Höhenmesser wandert von Marke zu Marke. 15oo Meter. Vom Towerlotsen, einem unserer Segelflieger-Kollegen, erhalte ich die Freigabe, mich über dem Zentrum des Flughafens in die Höhe zu schrauben. Etwas von mir entfernt kurbeln noch zwei Kameraden. Ueber Funk rufen wir uns gegenseitig Ratschläge zu. Man hat nur die eigenen Kollegen im Auge zu behalten. Innerhalb der Kontrollzone kommt kein anderes Segelflugzeug in die Quere. Und auf die Jets sowie die Props passen die Fluglotsen auf. Unter mir spielt sich der normale Flughafenbetrieb ab. Jets starten und landen, rollen vom oder zum Vorfeld. Ich bin im toten Winkel und kann das alles von oben wie von einem Logenplatz aus beobachten. 2000 Meter. Der Flughafen Köln Bonn liegt 50 Meter unter Meereshöhe. Ueber dem Flachland sind daher 2000 Meter schon eine sehr ordentliche Höhe. Nun bin ich genau unter einer grau-weissen Comuluswolke, die sich wie eine hohle Hand über mich stülpt. Es sieht eigenartig aus, wie die Ränder der Wolke sich unterhalb meiner Flughöhe ausbreiten. Geradeausflug Richtung Kölner Innenstadt. Schwarzgrau liegt der Dom weit unter mir und der Rhein schlängelt sich wie ein Silberband durch die Stadt. Vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten hat es genau hier Bomben gehagelt. Ein unangenehmes Gefühl beschleicht mich. Die Zeit fliesst zäh dahin, der Hintern schmerzt allmählich, die Fallschirmgurte drücken in die Beine. Von Zeit zu Zeit ruft mich die Flugsicherung und bittet mich um Position und Flughöhe. Kurbeln - abfliegen - Kurbeln - abfliegen - so geht das Stunde um Stunde. Ich fliege den Rhein aufwärts. Unten Treibstoffraffinerien und Lastkähne auf dem Rhein. Nach etwa vier Stunden reicht es mir allmählich in der engen Mühle. Aber ich muss mindestens 5 Stunden ausharren - sonst gibts kein silbernes Leistungsabzeichen. Also durchhalten! Der Nachmittag schreitet voran, die Thermik ist nicht mehr so komfortabel. Jetzt verschmähe ich auch "Bärte" mit geringem Steigen nicht mehr. 4 1/2 Stunden: Die Thermik versiegt immer mehr. Jetzt noch abzusaufen wäre bitter. Langsam geht die satte Höhe wieder verloren. Bis auf tausend Meter über Grund bin ich bereits über den Oelraffinerien direkt am Rheinufer von Köln-Wesseling angelangt. Leichtes Sinken - ab und zu ein Nullschieber. Mit Argusaugen beobachte ich meine Uhr, deren Zeiger sich richtig bösartig nicht weiterbewegen wollen. Ob das reichen wird? Da, ein halber Meter Steigen - direkt über der Raffinerie. Es stinkt wie nach den alten Socken eines Kutterkapitäns. Das ist die Warmluft der Industrieanlagen, die zu mir heraufsteigt. Nase zu - ein Indianer kennt keinen Schmerz. Mit allen Rafinessen versuche ich, mich in dem Industrieaufwind zu halten. Jedes Mal, wenn ich auch nur ein Stückchen wegfliege, geht es gleich wieder nach unten. Also hier bleiben, bis die 5 Stunden um sind. Eine Toilette wäre jetzt auch kein Luxus mehr. Endlich - die fünf Stunden sind geschafft. Ein unglaubliches Glückgefühl! Jetzt nichts wie zum Flughafen zurück. Mit dem vielen Kreisen über dem topfebenen Gelände habe ich etwas die Orientierung verloren. Vom Kontrollturm Köln-Bonn lasse ich mir eine Funkpeilung geben. Dann fliege ich nach Kompasskurs weiter. Die Höhe schmilzt wie der Schnee in der Sonne. Dass das nicht mehr bis zum Platz reichen wird, ist bald einmal klarer als klar. Also - nach einem geeigneten Landefeld Ausschau halten. In dem flachen Gebiet kein Problem. Ein grosses abgeerntetes Weizenfeld bietet sich an. Dort sind keine versteckten Ackergeräte oder ähnliches zu erwarten. Und eine Strasse für die Rückholmannschaft führt auch vorbei. Wie eine Oase in der Wüste nimmt sich die Gaststätte da unten aus, die zuerst die ersehnte Toilette und dann ein kühles Bier erwarten lässt. Gegenanflug - Queranflug - Endteil - ordentlich, wie man das einmal gelernt hat. Funkmeldung an den Towerlotsen über die Position des Landefeldes, Er wird die Rückholmannschaft informieren. Dann Klappen raus, abfangen und schon rumpelt der Segler über das Stoppelfeld. Abschnallen, Haube auf, raus - und im Schnellspurt zur Toilette in der Gaststätte. Dietwolf (Thermikus):) Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
meeri Geschrieben 25. Mai 2006 Teilen Geschrieben 25. Mai 2006 "und im Schnellspurt zur Toilette in der Gaststätte." JAJA- und sicher nicht irgendwo in einem winkel hinterm Flieger, wirklich bis zur Gaststätte? Sehr schöner Bericht, kann mir vorstellen dass 5 Stunden in einer Ka8 nicht die schönste Zeit sind. Vielen Dank für deine Erfahrung Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Thermikus Geschrieben 25. Mai 2006 Autor Teilen Geschrieben 25. Mai 2006 "und im Schnellspurt zur Toilette in der Gaststätte." JAJA- und sicher nicht irgendwo in einem winkel hinterm Flieger, wirklich bis zur Gaststätte? Sehr schöner Bericht, kann mir vorstellen dass 5 Stunden in einer Ka8 nicht die schönste Zeit sind. Vielen Dank für deine Erfahrung Nein, der "Notablass" geschah wirklich in der Gaststätte. Nur der Sprint war vielleicht nicht ganz so schnell, wie ich ihn beschrieben hatte. Nach dem Aussteigen war ich nämlich so steif gesessen, dass ich mich kaum von der Stelle bewegen konnte. Zum Glück hatte ich während dieses Fluges nicht noch etwas getrunken. Sonst hätte auch ein Winkel hinter dem Flieger nicht mehr gereicht. Aber das kühle Bier hinterher - es war das Bier meines Lebens! Wenn Du 5 Stunden angeschnallt in einem engen K8 Cockpit sitzt (es waren exakt 5 Stunden und 10 Minuten), dann kannst du anschliesend kein Flugzeug mehr sehen. Es ist eine Folter besonderer Art. Und ständig musst du dich konzentrieren und kurbeln, kurbeln - bis zum Drehwurm. Die Kollegen heute haben es da schon bequemer. Die liegen in ihren Kunststoffseglern wie im Liegestuhl am Badestrand. Und wenn ich mich nicht irre, haben die sogar eine Flasche an Bord, die eine gewisse Ecke hinter dem Flieger oder ein stilles Oertchen in der Gaststätte überflüssig macht. Heute fliege ich nur noch "Rentner-Jets" (Motorsegler) - da ist die ganze Angelegenheit schon wesentlich humaner und gemütlicher. Schönen Gruss und Danke für Deinen Kommentar! Dietwolf (Thermikus);) Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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