Zum Inhalt springen

Keine Hydraulik=nicht mehr steuerbar?


Empfohlene Beiträge

Geschrieben

Hallo zusammen!

Was passiert eigentlich, wenn die komplette Hydraulik eines Flugzeugs ausfällt? Ist es dann nicht mehr steuerbar und das Schicksal der Insassen bereits auf Flughöhe besiegelt? Mir ist schon klar, dass man selbst bei Triebwerksausfall und leerer Batterie mit Windmilling und der Ratte genug Strom für die Hydraulik zusammenkriegt. Aber in der Fliegerei hat man doch selbst für worst-case-Szenarien noch eine Lösung parat! Was also, wenn die Triebwerke blockieren und die Ram Air Turbine einen Schaden hat? Glaubt mir: Weder mit der vielgerühmten Suchfunktion, noch in einschlägigen Informationsquellen stiess ich auf eine Antwort. Ansonsten bitte ein dezenter Link und die Sache ist erledigt.

Wilko Wiedemann
Geschrieben

Keine Hydraulik = keine Steuerung mehr möglich.

 

Die Hydrauliksysteme sind redundant ausgelegt. Solange eines davon funktioniert und via RAT, ADG, oder Triebwerke mit Druck oder Strom versorgt wird, bleibt der Flieger steuerbar. Wenn alles inklusive Notsysteme versagt, dann ists vorbei mit steuern. Aber so einen Fall müsste man wohl absichtlich herbeiführen, oder dann ist das Flugzeug so stark beschädigt, das steuern eh nix mehr nützt.

 

Gruss

 

Wilko

Geschrieben

Zwei Fälle von totalem Hydraulikausfall sind mir grad bekannt, die DHL A300, welche Ende 2003 in Bagdad von einer Rakete getroffen wurde, und die berühmte Notlandung einer United DC10 in Sioux City. In beiden Fällen war die Crew gezwungen, das Flugzeug ausschliesslich mit den Schubhebeln der Triebwerke zu steuern...

 

Gruess,

 

Flo

Wilko Wiedemann
Geschrieben

Die Sioux-DC10 verlor die gesamte Hydraulik. Da die Triebwerke noch liefen, konnte damit gesteuert werden. Ohne Triebwerke wäre dann gleich Feierabend gewesen. War eine Topleistung der Piloten, leider hats dann doch noch in einem Unfall geendet.

 

Gruss

 

Wilko

Geschrieben

Beim Absturz eines JAL-Jumbos in den 80ern war ein totaler Hydraulikausfall auch ein Faktor, damals barst das Druckschott im Heck des Fliegers.

 

Frage: Gab es in diesen Fliegern noch keine RAT, oder war die jeweils auch wirkungslos? Seit wann sind RAT vorgeschrieben?

 

Gruess,

 

Flo

Wilko Wiedemann
Geschrieben

Beim besagten Jumbo riss das Druckschott Leitungen aller vier Hydrauliksysteme auf. Wenn die Systeme Lecks haben, dann nützt die beste RAT nichts mehr, da kein Druck mehr aufgebaut werden kann. Das war bei der Sioux-DC10 auch so. Als Folge dieser Unfälle begann man, die redundanten Systeme auch räumlich besser zu trennen.

 

Gruss

 

Wilko

Geschrieben

Was ich noch der Diskussion beisteuern möchte ist folgender Gedanke...

 

Gedanklich auf den A320 bezogen, aber bewusst vereinfacht, da in Realität eh von Flieger zu Flieger verschieden.

 

Hydraulische Druckerzeuger sind beide Triebwerke, zweimal elektrische Pumpe sowie die RAT.

Die elektrischen Pumpen können mit Stromerzeugern gespiesen werden, inflight sind dies die beiden Triebwerke und/oder APU.

Damit man nun zum Fall gerät, dass keiner der hydraulischen Druckerzeuger mehr funktoiniert, müssen also erst einmal beide elektrischen Pumpen aussteigen und dann noch beide Triebwerke. Und dann noch die RAT.

Ääh... Hallo?

Normalerweise bricht man den Flug schon bei einem Triebwerkausfall ab und gondelt nicht friedlich weiter über den Atlantik...

 

All diese Spekulationen, wie man zu der Situation gerät sind ja schön und gut, aber wenn man dann diese Ideen schon konsequent weiterverfolgen würde, dann müsste man ja jedem Flieger noch eine Kabelrolle hintendranhängen... Für den Fall der Fälle... Und dies würde sich dann wohl eher suboptimal auf die Reichweite auswirken... Mal ganz abgesehen davon, wie denn die Alpen aussähen, wenn all die Kabel vom Himmel da herunterhängen...

 

Irgendwann muss man ein Konsens zwischen Risiko und Wahrscheinlichkeit des möglichen Eintreffen und dem Aufwand zu dessen Verhinderung treffen. Wenn man das Niveau der Absicherungen eingehend betrachtet und auf ein Auto übertragen würde, so würde wohl mancher Autofahrer die Hand auf die Stirn klatschen und sich schreiend abwenden, da das Simple plötzlich kompliziert würde...

 

Oder einfacher gesagt, um diese Thematik zu behandeln, brauchts eindeutig mehr Arbeit auf der Tastatur und im Gehirn, als man auf die schnelle in einem Forum machen könnte...

 

Gruss vom Dani, schlafen gehend...

Geschrieben

Einige Facts zum Bagdad Incident (Quelle Airbus)

 

- der Impact der Rakete war bei 8000ft climbing

- alle Hydraulik Systeme gingen verloren

- linker Flügel getroffen und in Flammen

- fuel leak im linken Tank (mit Feuer....)

- aileron, rudder und elevators sind im Wind 'gefloated'

- stabilizer (THS) 'frozen'

- ein grosser Teil des linken Flügels hat gefehlt... (siehe Fotos in der .pps Präsent)

 

Die Piloten mussten lernen das Flugzeug mit Thrust zu steuern. Nach 25 Minuten hat der A300 sicher und relativ komfortabel (Vz<10 ft/s) in Bagdad aufgesetzt. Und das bei einem Wind von 290/20 (RWY 33 L/R)......

 

Die Besatzung hat unter enormem Druck sehr eindrücklich demonstriert, dass es noch möglich ist ein Flugzeug ohne Hydraulik zu landen. Ob das ein nächstes Mal bei einem anderen Flugzeugtyp und bei einer anderen Konstellation auch noch klappt, sei dahingestellt.

 

Auf jeden Fall ziehe ich meinen Hut vor der Besatzung!

 

Die Airbus .pps Präsentation kann ich aus Copyright Gründen nicht publizieren. Auf dem folgenden Link findet ihr Kommentare und eindrückliche Fotos zum Incident.

 

http://www.avweb.com//newspics/dhldown.pps

 

nff v/o Peter

Geschrieben
... dann müsste man ja jedem Flieger noch eine Kabelrolle hintendranhängen...

 

... und auch da kann ja der Stecker aus der Dose fallen... :p

 

Gruess

Tom

Geschrieben

Danke für eure ausführlichen Erklärungen. Dass es gewisse Piloten dann sogar noch schaffen, schwer beschädigte Flugzeuge mit den Triebwerken zu steuern, überrascht mich schon. Gehört etwa selbst das zur Ausbildung? Und noch eine Frage:

Die Sioux-DC10 verlor die gesamte Hydraulik. Da die Triebwerke noch liefen, konnte damit gesteuert werden. Ohne Triebwerke wäre dann gleich Feierabend gewesen. War eine Topleistung der Piloten, leider hats dann doch noch in einem Unfall geendet.

 

Gruss

 

Wilko

Das seitliche Steuern mit den Triebwerken kann ich mir ja noch vorstellen. Aber wie machten die das mit der vertikalen Steuerung? Mit den Landeklappen?

Geschrieben
Das seitliche Steuern mit den Triebwerken kann ich mir ja noch vorstellen. Aber wie machten die das mit der vertikalen Steuerung? Mit den Landeklappen?

 

Ich weiss nicht, inwiefern die Flaps/Slats überhaupt noch zur Verfügung stehen bei einem kompletten Hydraulikausfall. Zum Fall der DHL A300 gabs in Flight International mal einen informativen Artikel, darin steht unter anderem folgendes:

 

All the crew are taking part in everything, doing whatever they see needs to be done. "The rulebook has gone out the window," explains Rofail. "Situations like this are unique every time. You cannot train for them. You cannot write a checklist for them." The crew have since listened to the cockpit voice recorder tape and say they are quite surprised at how calm they all sound. Rofail says: "All you can do is apply common sense and stay calm. We were the right combination of crew."

 

What most concerns the crew is lack of control over airspeed. Initially, Michielsen and Gennotte try to use the control yokes and rudder pedals, but quickly accept they are ineffective. Although the crew know theoretically they could control the aircraft with the throttles alone, it takes them about 10min to learn how to keep the aircraft at an acceptable attitude. During the learning process airspeed lurches wildly between 180kt and 300kt.

 

Because, like most big jets, the A300's engines are slung below the wings, an increase in thrust causes the nose to pitch up, conversely a thrust decrease causes a pitch-down moment. The problem for Gennotte and his crew is that, on applying power, the increase in nose-up attitude tends to dampen an increase in speed. Then because they cannot apply any direct pitch control or change the pitch trim, when any power-induced increase in speed exceeds the trimmed indicated airspeed (IAS) of 215kt, there is a gradual further pitch-up followed by a loss of speed as the nose-up attitude steepens. Thrust reduction may provide an instant nose-down pitching moment, but then the descending flightpath tends to make the speed increase, and as airspeed rises above the 215kt trim speed, the nose gradually pitches further up. The result is a counter-intuitive secondary effect to every power change. Selection of asymmetric thrust provides roll control, but altering heading or picking up a wing by this method is painfully slow compared with the almost instant primary effect a power change has in pitch.

 

Der ganze Artikel ist hier zu finden: http://www.flightinternational.com/Articles/2004/12/21/191713/Great+escape.html

 

Gruess, Flo

Geschrieben

Es ist aber zu beachten dass es bisher erst ganze zwei Fälle gab wo die Flieger aufgrund eines technischen Defektes (in Beiden Fällen durch Wartungsfehler) einen Totalausfall des Hydrauliksystems hatten: die JAL-747 mit dem Druckschott (das bei Boeing damals falsch repariert wurde) und die UA-DC10 in Sioux City (da versagte eine Triebwerksschaufel die eigentlich laut Qualitätskontrolle gar nciht mehr existieren durfte). Der Airbus war Opfer einer Fremdweinwirkung.

 

Der JAL-Unfall ist insofern tragisch da die Piloten nurch das korrekte Handhaben der Checkliste den FLieger vermutlich hätten retten können. Keiner der EBsatzung legte nach dem Druckverlust die Sauerstoffmaske an.

 

McDonnell-Douglas (und dann später Boeing) hat an einer MD-11 (der letzten gebauten die anschliessend an LH ging) eine Software getestet die den FLieger automatisch nur mit der Tiebwerksleistung geflogen ist. Man baut die Software allerdings nicht ein, denn bei solchen Defekten dürften die Ruder allesamt nciht in Neutralstellung sein was wiederum heisst dass nur der Mensch in der Lage ist das Steuerverhalten der betroffenen Maschine effektiv in der kurzen Zeit die zur Verfügung steht zu lernen.

Geschrieben

Hallo,

 

es wird mal wieder Zeit, dass ich mal wieder einen Beitrag schreibe...

Es gibt durchaus auch Flugzeuge, die auch ohne Hydraulik noch zu steuern sind. Boeing hat z.B. bei der 737 noch Seilzüge als Backup. Wenn die gesamte Hydraulik ausfallen sollte (System A,B und Standby) kann man immer noch das Höhenruder und die Querruder direkt ansteuern. Die aufzubringenden Kräfte sind zwar nicht unerheblich, aber es geht und wird im Sim auch immer wieder trainiert.

 

Gruss

Jochen

Geschrieben
Es ist aber zu beachten dass es bisher erst ganze zwei Fälle gab wo die Flieger aufgrund eines technischen Defektes (in Beiden Fällen durch Wartungsfehler) einen Totalausfall des Hydrauliksystems hatten

 

Gab es nicht letztens einen Hydrauliktotalausfall bei einer Northwest DC9 am Boden der mit einer Kollision endete ? Meine irgendwo sowas gelesen zu haben.

 

gruß Dennis

Manfred Schmieder
Geschrieben

Der JAL-Unfall ist insofern tragisch da die Piloten nurch das korrekte Handhaben der Checkliste den FLieger vermutlich hätten retten können. Keiner der EBsatzung legte nach dem Druckverlust die Sauerstoffmaske an.

 

Hast du mir zu dem Vorfall vielleicht einen Link oder eine Flugnummer? Mit den Suchworten JAL, 747 und Hydraulik konnte ich weder im Forum noch bei google etwas brauchbares finden.

 

Danke schonmal

Geschrieben

Hallo Manfred

 

Die Flugnummer war JAL123, passiert ists am 12. August 1985. Habe auf die schnelle keinen Untersuchungsbericht in Englisch gefunden.

 

Gruess,

 

Flo

Geschrieben

@Markus

 

Ja Danke, genau das wars, stand glaube ich in der aktuellen Aero.

 

gruß Dennis

  • 3 Wochen später...
Geschrieben
Hast du mir zu dem Vorfall vielleicht einen Link oder eine Flugnummer? Mit den Suchworten JAL, 747 und Hydraulik konnte ich weder im Forum noch bei google etwas brauchbares finden.

 

Danke schonmal

 

Im Buch "Air Desaster Vol 2" von Macarthur Job ist dieser Unfall sehr detailiert beschrieben.

  • 2 Monate später...
Geschrieben

Eine MD-11 mit PCA Propulsion Controlled Aircraft Software wurde am 29. August 1995 Am Dryden Research Center der NASA in Edwards, California, erfolgreich getestet. Mehr darüber, z.B. detailierte Informationen von der NASA, findet man, wenn man nach dem Suchbegriff "MD-11 PCA" googelt. Auch eine B747-400 wurde mit PCA Software getestet.

 

McDonnell-Douglas (und dann später Boeing) hat an einer MD-11 (der letzten gebauten die anschliessend an LH ging) eine Software getestet die den FLieger automatisch nur mit der Tiebwerksleistung geflogen ist. Man baut die Software allerdings nicht ein, denn bei solchen Defekten dürften die Ruder allesamt nciht in Neutralstellung sein was wiederum heisst dass nur der Mensch in der Lage ist das Steuerverhalten der betroffenen Maschine effektiv in der kurzen Zeit die zur Verfügung steht zu lernen.

Die letzte MD-11, die anschliessend an LH ging, wurde erst am 02.10.2000 fertiggestellt und am 25.01.2001 an LH ausgeliefert. Der PCA Flug fand aber schon 1995 statt.

 

Gruss, Toby

Geschrieben

Außer den Seilzügen für die Steuerorgane hat die 737 ja auch noch nen elektrischen Stellmotor für die Flaps, also würden die auch noch bei einem kompletten Hydraulikausfall funktionieren...

 

Gruß,

Daniel

Geschrieben

Bei Hydraulikausfall sitzt man in einer 737 also mit Abstand am sichersten... :rolleyes:

Dein Kommentar

Du kannst jetzt schreiben und Dich später registrieren. Wenn Du ein Konto hast, melde Dich jetzt an, um unter Deinem Benutzernamen zu schreiben.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

×
×
  • Neu erstellen...