PeterH Geschrieben 12. April 2005 Geschrieben 12. April 2005 Hugo, ich kann Dir da nur zustimmen. Dass bei vielen höheren Tierarten eine Tötungshemmung gegenüber der eigenen Art besteht (ja, es gibt auch das Gegenteil), dass es bei vielen Tierarten eine Inzesthemmung gibt usw, ist sicher ausser Zweifel. Unsere komplexeren Ethiksysteme haben da sicher ebenfalls ihre Wurzeln. Ich denke nur, dass spätestens mit der Entwicklung arbeitsteiliger Gesellschaften so ein reines Natursystem nicht mehr ausreicht. Vielleicht haben sich arbeitsteilige Gesellschaften auch nur entwickeln können, weil es bereits eine gewisse naturbegründete Ethik gab. Nebenbei stellt sich mir die Frage, ob die verschiedenen Ethiksysteme - gleichgültig ob transzendental oder ökonomisch oder wie auch sonst basiert - für die heutigen komplexen Gesellschaften auch nur annähernd ausreichen. Ich habe da grösste Zweifel, wenn ich die abendlichen Nachrichten sehe... :( Viele Grüsse Peter Zitieren
Philip Geschrieben 12. April 2005 Geschrieben 12. April 2005 Sind philosophische und ökonomische Begründungen von Moral und Ethik nicht nur verstandesmässige Rechtfertigungen für angeborenes Verhalten, welches evolutionsgeschichtlich entstanden ist? Mit dieser Aussage sprichst Du Dich gerade uneingeschränkt für ein Naturrecht aus. Du sagst, es gibt ein uns angeborenes Recht. Übrigens... es ist ja wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis man auch auf "Das Sakrileg" zu sprechen kommt. :D Im ursprünglichen Buch (The Holy Blood and the Holy Grail", Leigh et al.), welches von Dan Brown ja eigentlich nur (in romanform) abgeschrieben wurde, fand ich folgenden bedeutungsvollen Sätze auf die Feststellung hin, dass Jesus im theologischen Sinn nicht Gottes Sohn sei: "Contrary to the assertions of both theologians and interviewers, such a statement does not constitute 'an attack on the very core of Christianity and the Christian ethos'. The core of Christianity and the Christian ethos resides in Jesus' teachings. Those teachings are, in many respects, unique. They promulgate values and attitudes that not previously been expressed on the stage of human history. They do not need miraculous biographical details to support them (...)" (S. 9 der Neuauflage). Das hat sicherlich viel Wahres. Gruss, Philip Zitieren
Hugo Frey Geschrieben 12. April 2005 Geschrieben 12. April 2005 Nebenbei stellt sich mir die Frage, ob die verschiedenen Ethiksysteme - gleichgültig ob transzendental oder ökonomisch oder wie auch sonst basiert - für die heutigen komplexen Gesellschaften auch nur annähernd ausreichen. Ich habe da grösste Zweifel, wenn ich die abendlichen Nachrichten sehe... Hallo zusammen Wie es Konrad Lorenz treffend formulierte: "Die natürlichen Neigungen des Menschen sind gar nicht so schlecht. Der Mensch ist gar nicht so böse von Jugend auf, er ist nur nicht ganz gut genug für die Anforderungen des modernen Gesellschaftslebens." Unser angeborenes Verhalten, welches evolutionsgeschichtlich entstand, stammt aus der Zeit, als unsere Vorfahren, mit Faustkeilen bewaffnet, durch die Savanne zogen. Wie der Waffen- und Werkzeuggebrauch und die aus beiden erwachsene Weltherrschaft des Menschen, so hat auch die dritte und schönste Gabe des begrifflichen Denkens Gefährliches im Gefolge. Alle kulturellen Errungenschaften des Menschen haben den einen grossen Haken: Sie betreffen nur solche seiner Eigenschaften und Leistungen, die durch individuelle Modifikation, durch Lernen beeinflussbar sind. Sehr viele unserer arteigenen, angeborenen Verhaltensweisen sind das nicht. Das Tempo ihrer Veränderlichkeit im Artenwandel ist das Gleiche geblieben wie dasjenige irgendwelcher körperlicher Merkmale. Das heisst: Kulturell und technisch hat sich der Mensch rasant entwickelt. Von unseren Anlagen her sind wir eigentlich noch nicht viel weiter als unsere Vorfahren mit dem Faustkeil. :002: Das ist das Dilemma unserer Spezies. Um es kurz zu machen und auf den Punkt zu bringen: Ich denke, dass unsere Spezies im Innersten weiss, was gut (arterhaltend) oder böse (der Arterhaltung schadend) ist. Die angeborenen Hemm-Mechanismen genügten aber bald nicht mehr, den Agressionstrieb zu kontrollieren und in sinnvolle Bahnen zu lenken, um somit ein Zusammenleben in der Sippe zu ermöglichen. So entstanden Tabus, Verhaltenskodex und Rituale, deren Begründung im transzendentalen Bereich gesucht wurde. So ist Religion nicht der Ursprung von Moral und Ethik, sondern eigentlich derer Rechtfertigung. Gruss: Hugo Zitieren
Philip Geschrieben 12. April 2005 Geschrieben 12. April 2005 Hugo, unsere postings haben sich überschnitten; siehe meine Stellungnahme oben. Was Dein Statement betrifft muss ich jetzt allerdings freundschaftlich insistieren. Du sagst, Gut ist was arterhaltend ist... Puhh!!! Bist Du Dir der Konseqeunzen dessen bewusst? Genau was ich oben zum Utilitarismus gesagt habe; das würde heissen, dass Du zur Arterhaltung gerne einige Leute umbringen darfst, wenn das zum Wohl der restlichen ist. Es dürften dann auch viele sein, solange einfach die Art erhalten wird (in diesem Zusammenhang von "Art" zu sprechen ist auch schon wieder heikel). Ist das aber mit unserer Moralvorstellung kompatibel? Wenn nicht, dann kann es auch keine uns angeborene Moral sein. Und wenn die Spezies "im Innersten weiss, was Gut und Böse ist", dann heisst das nichts anderes, als dass die Natur es ihr sagt (anders wirst Du es wohl nicht begründen können, denn der Mensch muss ja eine Vorstellung vom "Guten" und vom "Bösen" haben). Und wer sagt es der Natur? Für die Unterscheidung zwischen Gut und Böse müsste es in der Natur selber auch ein Gut und ein Böse geben. Etwas Böses in der Natur................... Jetzt habe ich einen Knopf im Kopf :006: Zu viel für heute! :D Eine spannende Diskussion, Hugo und Peter! :) Zitieren
Hugo Frey Geschrieben 13. April 2005 Geschrieben 13. April 2005 Hallo Philip Du sagst, Gut ist was arterhaltend ist... Puhh!!! Das sehe ich relativ nüchtern. Wenn ich so die Natur anschaue, habe ich nicht den Eindruck, dass da etwas nach humanitären Grundsätzen abläuft. Fressen und gefressen werden, Territorium erobern und verteidigen usw. Gut und Böse existieren in der Natur nicht. Sie sind eine menschliche Erfindung. Das Leben in der Herde, oder der Sippe erfordert Spielregeln, um ein Zusammenleben zu ermöglichen. Diese hatten sich im Laufe der Zeit durch Mutation und Selektion gebildet und einritualisiert. Ein ausgeprägtes Sozialverhalten zeigen übrigens die Wölfe. Wenn ein Wolf im Rangkampf den Gegner „versehentlich“ umgebracht hat, ist dieser dann sehr bedrückt und zeigt so was wie ein „schlechtes Gewissen. Wer einen Hund hat, weiss, wie dieser reagiert, wenn er etwas gemacht hat, was er nicht sollte und dafür eine Schelte kassiert. Es hat sich also ritualisiertes Verhalten gebildet. Verstösse dagegen werden mit einem unguten Gefühl „bestraft“. Das gilt nicht nur für sogenannt „böses“ Verhalten, sondern auch für Verhaltensweisen, die von der Norm abweichen. Der Mensch mit seinem reflektierenden Bewusstsein muss natürlich das ungute Gefühl, wenn er gegen einritualisiertes Verhalten verstösst, verstandesmässig begründen. So befürchteten unsere Vorfahren eine Bestrafung durch Geister oder Götter. Die Vorstellung von Gut und böse entstammt dem iranischen Dualismus, von welchem auch die christliche Religion abstammt. Dort wird die Welt beherrscht von einer guten Macht „Gott“ und der bösen Macht „Teufel“. Diese Mächte kämpfen um die Herrschaft auf der Welt. Am Weltende wird die gute Macht siegen und nur zu ihr bekehrte Menschen werden gerettet werden. Ich bin also überzeugt, dass all unser Verhalten ein Produkt der Evolution ist. Natürlich findet auf der „neuen“ Ebene des reflektierenden Denkens jetzt eine Evolution des Geistes statt. Es sind wertvolle ethische Philosophien entstanden, nach welchen Vorbild es sich lohnt zu leben. Obwohl ein Leben nach moralischen und ethischen Grundsätzen absolut erstrebenswert ist, gelingt es eben leider vielfach nicht, diese einzuhalten. Zu fest werden wir „Verstandeswesen“ immer noch durch Triebe, Triebfedern und Instinkte gesteuert. Dazu kommt das Verstricktsein in Kausalverknüpfungen, welche ein nach individuellen Anlagen und Erfahrungen gemässes Reagieren provozieren. Wenn man die Erkenntnisse der modernen Psychologie, Verhaltensforschung und Neurologie betrachtet, hat man nicht den Eindruck, dass es um die Willensfreiheit des Menschen weit bestellt ist. Abschliessend: Ich sehe in der Religiosität des Menschen die wichtige Funktion, eine Sinngebung und Begründung für unser Dasein und unser Sein im Weltganzen zu geben. Das motiviert natürlich auch für ein Leben nach moralischen und ethischen Grundsätzen. Gruss: Hugo Zitieren
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