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First Solo


Anne

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„Idiotischer Schleicher in seinem dicken BMW!“ Sunny fluchte wie ein Rohrspatz und versuchte mit Hilfe von Blinker und Lichthupe schneller durch die Baustelle zu kommen. „Es ist jetzt 16 Uhr und genau 37 Minuten und als nächstes spielen wir für Sie Tom Petty und seine Heartbreakers“ verkündete der Radiomoderator fröhlich. Schon wieder so spät, aber was will man tun, wenn einen der Chef auf dem Weg raus noch abfängt und dummes Zeug wissen will? Ziemlich knapp muss sie nun vor dem BMW einscheren, um die Ausfahrt nicht zu verpassen, den bösen Blick des Fahrers ignoriert sie geflissentlich. „I’m learning to fly around the clouds“ tönt es aus dem Lautsprecher und Sunny singt lauthals und sehr falsch mit. Denn auf der zwölften Fahrt auf den Flughafen zum Fliegen lernen kann es nichts geben, was besser passen würde.

 

I’m learning to fly but I ain’t got wings

Comin’ down is the hardest thing

 

Coming down is the hardest thing? Und ob! Immerhin beruhigend, dass es anderen Leuten auch so geht, Sunny hatte schon an ihren fliegerischen Künsten gezweifelt. Fliegen selber ist eigentlich nicht schwer. Starten geht auch so halbwegs. Aber ab „abeam threshold“ entwickelt das Flugzeug Unarten, die einfach nicht in den Griff zu bekommen sind! Da will es nicht sinken oder viel zu stark, die Schräglage wird unkontrollierbar. Und je näher man der Piste kommt, umso wilder wird die ganze Sache. Der Fluglehrer hat mehr als einmal verkorkste Anflüge und Landungen gerettet und dafür gesorgt, dass Piloten und Flugzeug unversehrt bleiben.

 

So I started out for God knows where

 

Wo sie startet? Sunny denkt sich, dass eine viel bessere Frage wäre, warum sie die Sache mit der Fliegerei überhaupt wieder angefangen hat. Klar, früher mal, mit 17 die Segelfliegerei, das war was anderes. Damals haben das in ihrem Bekanntenkreis alle gemacht. Aber seit sie damals aufgehört hat, waren andere Sachen wichtiger geworden. Klar, an schönen Tagen schaute sie schonmal sehnsuchtsvoll an den Himmel, wenn da ein Kollege seine Kreise zog, aber mehr war da nicht. Und auch der Freundeskreis wandelte sich mehr zu Nicht-Fliegern hin, so dass das Thema irgendwann mal keines mehr war. Bis sie dann eines Tages kurz nach dem Umzug in eine andere Stadt beim Inline-skaten eher zufällig an den Flughafen fuhr und dann wunderschön hintereinander drei, vier Cessnas landeten. Eigentlich sind Motorflieger gar nicht so verwerflich, wie man das in Segelfliegerkreisen immer meinte. Außerdem kann man damit viel schöner Kunstflug machen. Mit ein wenig Glück darf sie noch in den laufenden PPL-Kurs einsteigen und auf einmal sitzt sie wieder im Flugzeug und kann nicht verstehen, wie sie die ganzen Jahre ohne die Fliegerei aushalten konnte.

 

But I guess I’ll know when I get there

 

Dumme Frage mit dem Warum! Natürlich! Fliegen ist schließlich auch eine Sucht! Auch wenn sie nicht daran glaubt, jemals ohne Fluglehrer fliegen zu können. Beim Segelfliegen ging alles irgendwie viel leichter, aber da war sie auch noch jünger.

Endlich ist sie am Flughafen angekommen, schnell den Flieger aus dem Hangar ziehen. Das ist inzwischen zur Routine geworden und zum Glück muss sie auch nicht tanken oder Öl nachfüllen. Sie stellt fest, dass der Outside-Check mit jedem Mal schneller geht, weil man nicht mehr jeden einzelnen Hebel suchen muss, sondern irgendwie einfach weiß, wo man hingreifen muss.

 

Als der Fluglehrer um 3 Minuten nach 17 Uhr dann um die Ecke biegt ist Sunny gerade fertig geworden und versucht den Eindruck zu erwecken, dass sie schon sehr lange fertig sei und den Landungen der anderen Maschinen zugeschaut hat. „Und, bist fit?“ Hmm – was soll jetzt diese Frage? So fit wie man halt sein kann, wenn man den ganzen Tag gearbeitet hat und morgen dem Chef erklären muss, warum man ihn vorhin einfach so hat stehen lassen. Sonst ist alles wie immer, erstaunlicherweise geht das Taxeln fast wie von selber und Sunny muss nicht mehr nachdenken, in welche Richtung man nun zur 34 abbiegen muss.

 

Erstaunlicherweise gelingt auch die Landung und Sunnys Welt scheint in Ordnung, vielleicht ist sie ja doch kein so hoffnungsloser Fall, wie sie immer gemeint hat? Immerhin hat sie sicherheitshalber nur den zwei besten Arbeitskollegen von ihren fliegerischen Aktivitäten erzählt, so dass es nicht allzu peinlich würde, falls sie das nicht packt und aufhören muss. „v1 and rotate“ „Okay, jetzt fliegst allein.“ Sunny fliegt ganz ruhig weiter, denn schließlich kann ist es ausgeschlossen, dass sie damit gemeint ist. Andererseits, wenn sie ehrlich ist, die Anzahl der Leute, die damit gemeint sein könnten ist nicht so groß. Eigentlich gibt es sogar überhaupt niemanden. Das Problem ist, dass inzwischen Sunnys Fluglehrer im Funk irgendwas requested, was verdächtig nach „Full Stop und dann Soloflüge“ klingt. Kurz schleicht sich das kleine Teufelchen in Sunnys Ohr und flüstert „Wenn Du jetzt ne ganz lausige Landung machst, so dass er eingreifen muss, bist Du in Sicherheit!“. Dummerweise gelingt das mit der schlechten Landung nicht, und irgendwann stehen sie dann im Rollweg Sierra.

 

Der Fluglehrer dreht noch eine absurde Frequenz rein, erklärt, dass sie jetzt nach rechts rausrollen und dann 3 Landungen machen soll. Und nicht vergessen, die Call-Outs durchzufunken. Anschließend schnappt er Rucksack und Handy und macht die rechte Tür von außen zu. In Sunnys Kopf überschlagen sich die Gedanken, von „Idiotin, wärst doch beim Chef geblieben und hättest die Flugstunde abgesagt“ über „Du hattest die Chance die letzte Landung zu versauen“ bis „zieh halt den roten Hebel und steig aus“. Auf einmal die Stimme vom Fluglehrer im Funk „lass Dir Zeit, bis Du fertig bist“. Tja, objektiv betrachtet gibt es im Flugzeug nicht viel zu tun trotzdem vergeht eine Ewigkeit bis sie ihre Stimme in den Funk piepsen hört „O-TB is ready“. War das jetzt eben ihre Stimme? Wie war doch gleich mit den „good old days“ als man von derlei Sorgen noch verschont war? Auf einmal „cleared for take-off“ – noch wäre die Möglichkeit einfach umzudrehen und zurück zu rollen.

Andererseits, warum eigentlich nicht? Der Gashebel fühlt sich angenehm vertraut an, der Motor klingt wie immer. „v1 and rotate“ Mist, jetzt hat sie den Funkknopf vergessen. Egal, drückt sie ihn halt jetzt. Ach so, sie hätte ja was sagen sollen. Egal! „Flaps“ - Knopf drücken – „up“ warten Knopf loslassen. „Und, taugt’s Dir? “Voll“ – Knopf drücken – „Klasse…“ – loslassen

 

Well I started out down a dirty road

Started out all alone

 

Schlagartig wird ihr bewusst, dass sie wirklich „all alone“ unterwegs ist und egal was jetzt kommt niemand da ist zum helfen. Zwar ist die Stimme vom Fluglehrer sehr beruhigend, aber das Steuer auf seiner Seite bewegt sich nur mit. In diesem Moment ist niemand auf der ganzen Welt so einsam wie Sunny. Wäre es eigentlich nicht so langsam mal Zeit für einen Crosswind? Mist – wo ist denn die Kirche hingekommen, auf die man immer zufliegt? Und überhaupt, die ganze Welt sieht völlig anders aus als noch vor einer halben Stunde! Wo ist denn die Piste? Ah, dort hinten ist sie und ihr Fluglehrer hat sich auch nicht im Gepäckfach versteckt! Die Kirche taucht aus dem Nichts auf und mutig fliegt sie darauf zu. Wahnsinn! Das Flugzeug fliegt allein irgendwie viel schöner als mit dem Fluglehrer, sie sagt das auch, aber vergisst den Funkknopf wieder. Am Horizont geht die Sonne gerade unter.

 

And the sun went down as I crossed the hill

The town lit up the world got still

 

Die Stille – nur das beruhigende Brummen vom Motor. Gar nicht so übel, allein zu fliegen denkt sie sich und versucht zu genießen. Hoppala, die Platzrundenhöhe ist ja schon erreicht. Klar, allein steigt sich’s wohl besser und der „Level of“ kommt auch vollständig am Boden an. Hoffentlich sieht er nicht, dass sie ein wenig zu hoch war. Jetzt Downwind, Untersberg und Abeam. Shit! Die Landung! Die hatte sie ja ganz vergessen vor lauter Begeisterung! Ein dummer Fliegerspruch fällt ihr ein „Der Start ist freiwillig die Landung nicht“. Allerdings sind die Alternativen Aussteigen und weiterfliegen bis der Tank leer ist auch nicht besonders attraktiv.

 

I’m learning to fly but I ain’t got wings

Comin’ down is the hardest thing

 

Vielleicht sollte man die Fliegerei einfach bleiben lassen, wenn man keine Flügel hat! Der Abeam-Check kommt nur sehr zerstückelt unten an aber irgendwie fängt das Flugzeug dann an zu sinken und nach dem „cleared touch and go 34“ beschließt sie, zumindest mal in Richtung Piste zu zielen. Full flaps, Gas raus, ziehen – tatsächlich, mit einer sanften Berührung hört die Maschine auf zu fliegen. Klappen, Vergaservorwärmung und Gas. Das macht Spaß! „Fliagst a kurze Platzrundn, wegn dem bledn Dash-Bomber!“ Und zu ersten mal nimmt sie das Flugzeug bewusst am Rollweg F wahr, bisher waren das nur Phrasen im Funk, die nicht nachvollziehbar waren. Um den Tower rum. „Nicht so kurz, die Platzrunde!“ Nach der dritten Landung rollt sie wieder zum Sierra um den Fluglehrer einsteigen zu lassen und zum Hangar zu rollen. Das heißt, eigentlich rollt sie nicht, sondern sie schwebt.

 

But I guess I’ll know when I get there

 

Ja, sie ist angekommen! Kleinigkeiten wie Chefs, Verspätungen und schleichende BMWs sind unwichtig, sie ist jetzt unbesiegbar. Die anschließende Gratulation erinnert fatal an den ersten Alleinflug im Segelflugzeug und den ersten Fallschirm-Absprung, aber glücklicherweise ist die Menge der Gratulanten deutlich kleiner.

 

© Anne

 

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Edit wegen Formatierungen..

Nochmal Edit wegen Formatierungen

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Glück Auf!

Solche Berichte liebe ich!

Du scheinst zu jener Gruppe von Piloten zu gehören, die nicht aus Prestigegründen die Berechtigungen erlangen, sondern ein tieferes persönliches Empfinden haben, wenn sie vom Boden abgeben.

Wenn der Motor läuft und wir "airborne" sind, sind wir in einer anderen Welt.

Noch viele schöne Flüge.

Noch viele schöne Flugerlebnisse.

Und Gratulation

 

Martin

piperflyer

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wow diese story ist einfach phänomenal! :)

 

wenn ich das lese, kann ich meine PPL ausbildung gar nicht mehr erwarten, das ganze ist so gut geschrieben und gibt die emotionen und gedanken wirklich gut wider!

 

sag anne, kommt das aus deiner feder? wenn ja, dann hut ab, du verstehst es echt, einem unglaubliche lust auf den himmel und das fliegen zu machen! :)

 

alex

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Anne,

 

einfach klasse der Bericht! Beschreibst Du hier Deine eigenen Erfahrungen in Bezug auf das Fliegenlernen, oder ist die Geschichte eine Mischung aus Autobiographie und Fiktion? Jedenfalls wunderbar zu lesen.

 

<Böse Bemerkung AN>

Wenn Du den Text auch noch so schön formatieren könntest....:009:

<Böse Bemerkung AUS>

 

Viele Grüsse

Manfred

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@piperflyer, McChester und manfred: Danke schön für Euer Lob, da werd ich ja ganz verlegen :o

 

Ähm, ja die Geschichte ist von mir und fast komplett autobiographisch.

 

@manfred: Hast Du ne Ahnung wie der Text vor dem ersten Edit wegen Formatierung ausgesehen hat *schimpf*? Aber ich werd jetzt gleich mal versuchen, ob ich das nachträglich ändern kann und gelobe feierlich Besserung :-p

 

*wink*

 

Anne

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WOW!

 

*Kieferwiederanursprungsortbring*

 

Super Bericht, fliessend geschrieben: Den Leser reisst es ja richtig mit! Gratuliere! :009: :005: Bravo!!!

 

Ich hoffe du fliegst öfter Solo - weitere solche Berichte erwünscht ;)!!!

 

Gruss

 

Julien

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  • 2 Wochen später...

Jetzt hab ich doch tatsächlich meinen Chef für 10 Minuten Chef sein lassen und Deinen Bericht richtiggehend eingesogen.

Könnte ich die Feder so gut schwingen wie Du, mein Erlebnisbericht vom "First Solo", obwohl nun auch schon wieder ein paar Jährchen her, hätte wohl ähnlich geklungen.

 

Du hast meine volle Bewunderung

 

Herzliche Fliegergrüsse

Heinz

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Hallo Anne,

 

na dann, alle Glückwünsche zum ersten Solo, auch wenn ich nicht weiß, wie lang das nun schon her ist. Auf jeden Fall ist dein Bericht mal etwas ganz Neues in diesem Forum.

 

Gruß Johannes :)

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  • 2 Wochen später...

Hallo Anne!

 

Auch wenn es schon länger her ist bei Dir - herzlichen Glückwunsch zum first solo! Dein Bericht hat die Erinnerung an meinen first solo wieder wach werden lassen. Schwitzende Hände, Checklisten die man sicherehitshalber dreimal macht, Gedanken warum tu ich mir das eigentlich an? etc. etc.

 

Aber trotzdem - es ist das geilste Gefühl allein im Cockpit zu sein und nicht dauernt angequascht zu werden "Du bist zu schnell - zu hoch - zu nieder - Du fliegst nur nach Gefühl und nicht nach Verfahren". Endlich Ruhe im Flieger, das Gefühl geniesen und die schweißnassen Hände in die Hose zu wischen.

 

Noch geiler war für mich die Landung am Heimatflughafen nach dem Dreieicksflug. Dort habe ich zum ersten Mal gejubelt : "Hurra jetzt bin ich Pilot!"

 

Und dann hat das Lernen eigentlich erst angefangen . . . . .

 

Always happy landings - and always remember:

 

A good landing is a landing you can walk away - a perfect landing is a landing when they can use the plane once more ;-)

 

Michi

 

PS: Lass was hören, wie es mit Deiner Fliegerkarriere weitergeht.

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  • 2 Wochen später...

Hallo alle,

 

erstmal vielen Dank fuer das tolle Feedback :) :)

Und - ja, der Alleinflug ist schon eine Weile her, um genau zu sein hatte ich vor einigen Wochen am Tag der CPL-Pruefung den dritten Jahrestag davon *angeb*). Aber ich werd dann im neuen Jahr wenn ich wieder am heimischen PC bin mal wuehlen gehen, ob es noch weitere veroeffentlichungswuerdige Fliegergeschichten gibt (falls Ihr die ueberhaupt lesen wollt)

 

Viele Gruesse aus Adelaide

 

Anne

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(...) ob es noch weitere veroeffentlichungswuerdige Fliegergeschichten gibt (falls Ihr die ueberhaupt lesen wollt)

 

Oh ja, gerne!

 

Gruss

Johannes, liest gerne Fliegergeschichten

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Hallo Anne,

 

fantastisch geschriebener Artikel! Und dann gratulier ich mal für den CPL!

 

Würde mich freuen weitere Geschichten von Dir zu lesen. Diese würden sich ja perfekt für eine Kolumne in einer Fliegerzeitschrift eignen!

 

Grüsse aus LOAN,

Christoph

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Schade dass ich die ersten zwölf Teile verpasst habe und nur den Schlussteil hier lesen konnte. :005:

 

Ernsthaft: Ein Wunderbarer Bericht, man kann sich gut vorstellen wie Hirn, Puls und Zitterfrequenz eines Soloflugpiloten oder Pilotin dabei am Limit werkeln, um nach der Landung in Freude, Befriedigung und Stolz umzuschalten.

 

Besten Dank.

Gruss, Urs

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