Christian Thomann Geschrieben 2. August 2003 Geschrieben 2. August 2003 Di, 05.08.2003 22:15 ZDF "37°" Der Ikarus-Kick Sport - Extrem Der Ikarus-Kick - Felix Baumgartner will fliegen Felix Baumgartner will fliegen. Mit einer kleinen Flügelkonstruktion auf dem Rücken wird er in 8000 Meter Höhe aus einem Heißluftballon springen, im Sturzflug eine Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometern erreichen und dann die 34 Kilometer von Dover nach Calais über den Ärmelkanal segeln. Seit fast zwei Jahren experimentiert er, um diesen Traum zu verwirklichen. In diesem Sommer wird es soweit sein. "Es ist der Urtraum des Menschen: Fliegen wie ein Vogel", gibt er zur Begründung an. Felix Baumgartner: das ist der, der mit einer Armbrust ein Seil über die Hand der 29 Meter hohen Christusstatue von Rio de Janeiro schoss, sich hochzog, Stunden bis zum Sonnenaufgang in der Hand des Herrn kauerte - und dann sprang. Eine Wahnsinnstat. Denn in dem wenige Sekunden dauernden Fall würde jeder Fehler tödlich enden. Auf die Sekunde genau muss der Fallschirm nach dem freien Fall sich öffnen. "In Gottes Hand"....Der spektakuläre (und verbotene) Sprung von der Hand der 29 m hohen Christus-Statue bei Rio de Janeiro. Es war ein Weltrekord: der Fallschirmsprung mit der niedrigsten Distanz zum Boden, höchst gefährlich. Felix Baumgartner kalkuliert das Risiko genau, sagt er...und steigert es von Mal zu Mal, fordert den Tod heraus. Wind und Wetter müssen genauestens eingeschätzt werden. Keine Bö darf kommen. Der kleinste Fehler - "und du fällst runter wie ein nasser Sack", erklärt er lapidar. Was steckt hinter diesem Wahnsinn? Der Film versucht, mit Felix Baumgartner, seiner Familie, seinen Freunden und Weggefährten auch den Motiven für dieses "Leben am Limit" auf die Spur zu kommen. "Der Moment des Absprungs ist das Entscheidende; diese Momente, die ich da erlebe, sind die Momente, wo ich das Leben richtig spüre", sagt Felix Baumgartner. Der normale Alltagstrott dagegen "ist für mich wie ein langsames Sterben". Für die wenigen Sekunden des Rausches - das ist es aus physiologischer und psychologischer Sicht - braucht es Monate der Vorbereitung. Baumgartner gibt zu, dass "der Kick mich süchtig gemacht" hat. Immer extremer, spektakulärer und gefährlicher mussten seine Aktionen werden, wie der Sprung von einem der Petronas Towers in Kuala Lumpur mit ihrer "Himmelsbrücke" (451 Meter), oder von der Felswand der Meteora-Klöster in Griechenland (275 Meter), oder von Bergen im ewigen Eis. Und wenn es illegal ist, man zuvor strenge Bewachung überlisten und genau vor dem Fluchtauto landen muss, um nicht im Gefängnis zu landen, ist der Reiz noch viel schöner (der Ikarus-Flug wird allerdings legal sein). Etliche tausend "normale" Fallschirmsprünge hat Baumgartner auch schon absolviert - aber das ist eher zur Übung und Unterhaltung; von den anderen Sprüngen dagegen spricht er als von seinem "Lebenswerk", wie ein Künstler. Offenbar steckt in der Suche nach dem ultimativen Glücksgefühl eine paradoxe Steigerungslogik: je schöner der Kick, desto näher dem Ende aller Kicks. Ist es ein Zufall, dass er immer wieder Orte und Aktionen wählt, die das Religiöse und das Mythische berühren? Ikarus scheint diesmal Pate zu stehen - oder vielleicht doch eher Batman? B.A.S.E. nennt sich dieser lebensgefährliche Extremsport, nach den Objekten von denen man springt (buildings, antennas, spans, earth). Baumgartner ist der Beste, er ist der Größte unter den vielleicht 4000 Todesspringern weltweit - und er will es bleiben. Mancherorts, auch in Deutschland, ist BASE bereits legasiliert. Aber immer wieder finden Menschen dabei den Tod - auch dies wird der Film eindringlich dokumentieren. Man sagt, dass die Zahl der BASE-Jumper sich gleich bleibt: Es kommen immer gerade so viele dazu wie sterben. Baumgartner glaubt, dass die letzteren Fehler machten. Er glaubt, dass er die Sucht nach dem Kick rational beherrschen kann - ist irgend ein Umstand nicht stimmig, dann verzichtet er auf den Sprung. Kontrollverlust gibt es bei ihm nicht - glaubt der intelligente junge Mann und hat bisher Recht behalten. So sehr er den Sekunden-Rausch sucht, so stolz ist er auf seine Körperbeherrschung und seine Rationalität. Wissenschaftler sprechen von einem "Flow"-Erlebnis, einem gänzlichen Aufgehen im Handeln, das ein unvergleichlich intensives Gefühl der Selbstbestätigung erlaubt. Vielleicht ist es dieses Gefühl, nach dem man süchtig werden kann, und weniger der Adrenalin-Rausch. Jedenfalls sagt Baumgartner: "Wenn ich eine Woche nicht mehr gesprungen bin, dann werde ich ganz kribbelig." Aber er will auch ein Pionier sein: "Ich will, dass die Menschen in 100 Jahren noch von mir und meinen Aktionen reden" - so wie man noch heute von den Brüdern Wright und ihrem ersten motorisierten Flug vor genau 100 Jahren redet. Für seine Fans ist Felix Baumgartner der Held einer Erlebnis-Kultur, gesponsort von einem "energy"-Getränke-Hersteller, der mit seiner neuen Aktion alle vorigen toppt. Der Film wird sie von den Vorbereitungen bis zum Vollzug begleiten. Darüber hinaus aber werden wir von ihm selbst hören, was seine Begriffe von "Leben", "Tod" und "Glück" sind. Was ist ein "erfülltes Leben" für ihn - eines das mit möglichst vielen möglichst "wahnsinnigen Kicks" angefüllt ist? Muss er für diese Lebensintensität nicht, paradoxerweise, immer riskanter den Tod herausfordern ? - Vielleicht lebt ja der sympathische 35-Jährige nur in äußerster Konsequenz, was als eine neue Einstellung zum Leben viel verbreiteter ist? Zitieren
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