Frank Holly Lake Geschrieben 28. Dezember 2024 Geschrieben 28. Dezember 2024 (bearbeitet) Aus : Quelle https://www.airliners.de/hintergrund-groessten-triebwerksrueckruf-luftfahrtgeschichte/71600 Zu Weihnachten mal ohne Pay Wall. Die Grafiken kann man dazu im dem Artikel sehen, ist aber sehr informtiv. Es ist eine der größten Rückrufaktionen der Luftfahrtgeschichte: Mindestens 1300 "Pratt & Whitney"-Triebwerke der neuesten Generation, die vor allem an Flugzeugen vom Typ Airbus A320 und A321 Neo hängen, müssen zu langwierigen Wartungsarbeiten in die Werkstatt. Wie es dazu kam, welche Airlines es betrifft und was das kostet. Es ist eine nie dagewesene Belastungsprobe für Fluggesellschaften und Wartungsbetriebe: Mindestens 1300 "Pratt & Whitney"-Triebwerke der neuesten Generation, die vor allem an Flugzeugen vom Typ Airbus A320 und A321 Neo hängen, müssen in den kommenden Monaten zu langwierigen Wartungsarbeiten in die Werkstatt. In der Folge sind Fluggesellschaften weltweit gezwungen, ihre Flugpläne zusammenzustreichen, ältere Flugzeuge länger in der Flotte zu behalten oder Kapazitäten extern hinzuleasen. Doch welche Airlines sind von den Groundings am stärksten betroffen – und wie kam es eigentlich dazu, dass plötzlich so viele Triebwerke in die Werkstätten zurückgerufen werden müssen? Eine Spurensuche. Alles begann mit einem "Uncontained Engine Failure" Interessanterweise haben die Probleme, die aktuell die Triebwerke der Typenreihe PW1100G und damit vor allem Airbus-Maschinen der A320-Neo-Familie betreffen, gar nicht mit den modernen Getriebefan-Motoren angefangen. Stattdessen begann die Geschichte um die wohl größte Rückrufaktion der Luftfahrtgeschichte mit einem Airbus A321-200 der Vietnam Airlines. Das Flugzeug, ausgeliefert 2012 und angetrieben von zwei IAE V2500-Triebwerken, rollte am 18. März 2020 in Ho Chi Minh Stadt zur Startbahn 25L, um nach Phnom Penh zu fliegen. Doch der Flug endete schneller als gedacht – mit einer Vollbremsung und einem Startabbruch nach rund 1600 Metern Beschleunigung auf der Runway. Kurz vor dem Abheben hatte die Crew einen lauten Knall gehört, im Cockpit wurde eine "ENG 2 FAIL"-Warnung angezeigt. Rauch steigt auf – nicht nur am rechten Triebwerk, sondern stellenweise neben der Runway. Der Motor war regelrecht geplatzt und heiße Teile hatten das Gras in Brand gesetzt. Ein so heftiger Motorschaden, man spricht von einem "Uncontained Engine Failure", ist ein Horrorszenario in der Luftfahrt. Triebwerke werden so konstruiert, dass Teile selbst bei einem Motorplatzer innerhalb der Triebwerksummantelung bleiben. In diesem Fall hat das nicht geklappt. Eigentlich darf so etwas nicht passieren. Schon zwei Tage später veröffentlichte die US-Aufsichtsbehörde FAA eine Notfall-Lufttüchtigkeitsanweisung und teilte mit, dass alle Betreiber bestimmte Scheiben der ersten Stufe der Hochdruckturbine (High-Pressure Turbine, HPT) in bestimmten Varianten der IAE-Triebwerkstypen V2522, V2524, V2525, V2527, V2528, V2530 und V2533 austauschen müssen – und zwar innerhalb von fünf Einsätzen. Später wurde die Anweisung um Scheiben aus bestimmte Produktionszeiträumen der zweiten HTP-Stufe erweitert. Eine Untersuchung des Komponentenherstellers "Pratt & Whitney" hatte ergeben, dass das Versagen der HPT-Scheibe im Triebwerk des Vietnam-Airlines-A320 auf eine Materialanomalie zurückzuführen ist, die durch Mängel im Herstellungsprozess verursacht wurde. Es wurden Risse festgestellt, die auf den Produktionsprozess zurückgeführt werden konnten. Beim Herstellungsverfahren der extrem beanspruchten Bauteile wird ein Metallpulver eingesetzt, das in einem bestimmten Zeitraum Partikelverunreinigungen aufwies. Das Problem weitet sich aus Schnell wurde festgestellt, dass das Metallpulver mit Partikelverunreinigungen auch im Herstellungsprozess für IAE-V2500-Ersatzschaufeln zum Einsatz gekommen war, die in der zweiten Verdichterstufe zum Einsatz kommen. Aber nicht nur das: "Pratt & Whitney", Teil des IAE-Konsortiums, musste im Zuge der internen Untersuchungen bald feststellen, dass zudem wichtige Turbinenkomponenten ihrer neuesten Getriebefan-Motoren von den Unregelmäßigkeiten im Herstellungsprozess betroffen waren. Zahlreiche der bis dahin ausgelieferten Triebwerke der neuen Baureihe PW1100G wurden mit Scheiben im Hochdruckverdichter ausgeliefert, die im fraglichen Verfahren hergestellt wurden und nun nach einer gewissen Betriebsdauer drohen, zu zerbrechen. Im Jahr 2022 berichtete die FAA dann, dass "Pratt & Whitney" eine weitere Untergruppe von HPT-Scheiben der ersten Stufe sowie HPT-Scheiben der zweiten Stufe identifiziert hat, die aufgrund ihrer Anfälligkeit für die gleiche Materialanomalie eine Inspektion und möglicherweise eine Außerbetriebnahme erfordern. Daraufhin wurde eine weitere FAA-Anordnung herausgegeben, die eine Untersuchung der HPT-Scheibe der ersten Stufe und der HPT-Scheibe der zweiten Stufe sowie – abhängig von den Ergebnissen der Inspektionen – den Austausch der Teile an allen Triebwerken der Varianten PW1122G-JM, PW1124G1-JM, PW1124G-JM, PW1127G1-JM, PW1127GA-JM, PW1127G-JM, PW1129G-JM, PW1130G-JM, PW1133GA-JM und PW1133G-JM vorschrieb. Sprich: Nun ging es nicht mehr um einige ältere Triebwerke, in denen bestimmte Ersatzteile eingebaut wurden, die relativ schnell im laufenden Betrieb überprüft und ausgetauscht werden konnten. Stattdessen ging es nun um neue Triebwerke, die bereits mit mangelhaften Teilen ausgeliefert wurden – und zwar im Wesentlichen um alle PW1100 Geared Turbofans, die zwischen Mitte 2015 und Mitte 2021 ausgeliefert wurden. Doch dann kam der 24. Dezember 2022. Ein Airbus A320 Neo der mexikanischen Viva Aerobus rollte am Flughafen von Guadalajara zum Start, um nach Cancun abzuheben. Das Flugzeug beschleunigte für den Start, als die Besatzung einen starken Schlag spürte und eine Feuerwarnung für das rechte Triebwerk erhielt. Die Piloten brachen den Start bei niedriger Geschwindigkeit zwischen 60 und 80 Knoten ab. Dieses Mal war es zwar kein "Uncontained Engine Failure", denn keine Schaufel hatte versagt – stattdessen war eine Nabe im PW1127G-Triebwerk gebrochen – und das lange vor der eigentlich als sicher eingestuften Betriebszeit der betroffenen Triebwerke. Waren bislang nur Scheiben betroffen, ging es nun um die Naben in der Hochdruckturbine (HPT) und im Hochdruckkompressor (HPC), ein im Austausch deutlich komplexeres Teil. Der Super-Gau-Rückruf Am 4. August 2023 gab "Pratt & Whitney" eine Serviceinformation heraus, in der die Betreiber angewiesen wurden, die Triebwerke zeitnah für Inspektionen aus dem Betrieb zu nehmen. Eine neue Analyse hatte ergeben, dass aufgrund der bereits bekannten Probleme im Produktionsverfahren die HPT/HPC-Komponenten wesentlich früher ausfallen können, als bisher angenommen. Darüber hinaus dauert die Inspektion und der Austausch der betroffenen Naben und Scheiben nun deutlich länger. Wie groß das Problem da bereits war, wurde dann am 11. September 2023 klar, als die "Pratt & Whitney"-Muttergesellschaft RTX eine Gewinnwarnung herausgab. Rund drei Milliarden US-Dollar (rund 2,76 Milliarden Euro) stellt der Konzern zurück, ein Schock, doch die Anzahl der vom Rückruf betroffenen Triebwerke ist hoch. Insgesamt rund 3000 Triebwerke, darunter PW1000G aller Typen und IAE V2500, die zwischen Mitte 2015 und Mitte 2021 gebaut wurden, könnten Teile mit dem Defekt aufweisen, heißt es in dem Bericht, der auch Details zu einem eiligst aufgestellten Wartungsplan enthält. Die betroffenen Flugzeuge, fast alles A320 und A321 Neo, müssen demnach zur regelmäßigen Sonderinspektion. Das gilt je nach Schubleistung alle 2800 bis 3800 Zyklen. Dabei sollen nicht nur die Scheiben in der Hochdruckturbine, sondern die Hochdruckverdichterscheiben auf Rissbildung inspiziert werden. Für die inspizierten Teile gilt seitdem eine neue, reduzierte Lebensdauergrenze von 5000 bis 7000 Zyklen. Danach müssen die Triebwerke abmontiert und für den Teile-Austausch komplett auseinandergenommen werden, was bis zu 300 Tage dauern kann. Wie das quasi gleichzeitig und möglichst zeitnah funktionieren soll, ist weiter unklar. Wartungskapazitäten sind ohnehin ein begrenztes Gut. Die Antwort ist: Es wird nicht funktionieren, zahlreiche Airlines müssen ihre Flugpläne zusammenstreichen. Doch anders geht es nicht. Die FAA wird deutlich: "Wenn diese Schwachstelle nicht behoben wird, kann es zu einem unkontrollierten Scheibenbruch kommen, bei dem hochenergetische Trümmer freigesetzt werden, die das Triebwerk beschädigen, das Flugzeug beschädigen und zum Verlust des Flugzeugs führen können." Der Plan sieht nun vor, dass "Pratt & Whitney" zusätzlich zu den rund 500 Triebwerken, die bereits zur Überholung eingetaktet sind, in den kommenden zwei Jahren 600 bis 700 Triebwerke ausmustern wird. An rund 150 Flugzeugen wurden die Teile bereits getauscht. Die meisten Austausche fielen den Angaben nach aber ins erste Halbjahr 2024. Nicht weniger als 650 Airbus A320 Neo mussten und müssen für den Rückruf zeitweise stillgelegt werden. In den Jahren bis 2026 folgen dann durchschnittlich 350 Maschinen pro Jahr. Das Problem ist lange nicht behoben Neben den Airbus-Flugzeugen der neuesten Generation sind übrigens auch die Triebwerke der PW1400G-Serie betroffen. Das betrifft ausschließlich die russische Irkut MC21. Wie und ob die Maschinen aufgrund der aktuellen Sanktionen mit neuen Teilen versorgt werden sollen, ist aber unbekannt. Russland will die Maschine aber ohnehin mit russischen Motoren umrüsten und FAA-Anweisungen gelten in Russland nicht. Wie viele Triebwerke mit neuen Scheiben und Naben zeitnah ausgestattet werden können, hängt allerdings im Westen von der Verfügbarkeit der Teile ab. "Pratt & Whitney" will die Produktion zwar hochfahren, doch die Komponente werden für Neuauslieferungen von Triebwerken für neue Flugzeuge benötigt. Gleichzeitig will der Triebwerkshersteller die Produktion von Ersatztriebwerken hochfahren und das Netz an für die Zertifizierung und den Austausch zugelassenen Wartungsfirmen ausweiten. Aktuell gibt es zwölf Betriebe weltweit (Stand August 2024), bis 2026 sollen es sieben mehr sein. Das ist dringend notwendig, weil nach den PW1100G-Motoren an den A320 und A321 Neo sowie den 1400G an der MC21 zwei weitere Varianten der PW1000-Triebwerksfamilie zur Inspektion anstehen: Etliche PW1500 und PW1900 mit ebenfalls betroffenen Teilen wurden beim Airbus A220 respektive bei Flugzeugen der Embraer E2-Reihe verbaut. Die großen Probleme mit den kleinen Materialfehlern im Metallpulver sind also lange nicht vorbei. Das gilt vor allem für die betroffenen Airlines. Als eine der am stärksten betroffenen Airlines hat Wizz Air dargelegt, wie sie im kommenden Jahr ihre Flottenplanung anpassen wird, um die geplanten Kapazitäten zu erreichen. Von 179 Flugzeugen müssen im kommenden Jahr demnach 45 zur Wartung ausgemustert werden. Um das abzufedern, wird Wizz Air 18 bereits ausgemusterte A320 wieder einflotten, die Leasingvereinbarungen für 13 Bestandsmaschinen verlängern und 39 neue Flugzeuge übernehmen. Recht genau hat zudem die japanische All-Nippon-Airlines (ANA) die Wartungspläne und die Prozesse rund um den Austausch dargelegt. Die Inspektionen betreffen dort insgesamt 33 Flugzeuge, elf A320 Neo und 22 A321 Neo. Die Triebwerke werden den Angaben nach von der Airline selbst demontiert und anschließend in einer vom Hersteller zugelassenen MRO-Einrichtung zerlegt, die betreffenden Teile inspiziert und ersetzt. Anschließend werden die Triebwerke wieder zusammengesetzt und zur ANA-eigenen Wartungsbasis transportiert. Dort montiert die Fluggesellschaft die Triebwerke wieder an die Flugzeuge. Infolge der Inspektionsarbeiten muss die Airline zwischen Januar und März 2024 täglich etwa 30 Flüge auf Inlands- und Auslandsstrecken reduzieren. Wizz Air, Indigo, Lufthansa und andere betroffen Eine offizielle Liste mit vom Austauschprogramm betroffenen Flugzeugen gibt es von RTX nicht. Die potenziell betroffenen Maschinen fliegen der airliners.de-Analyse zufolge aber in der ganzen Welt. Auswertungen von airliners.de auf Basis von CH-Aviation-Dateien zeigen, dass insgesamt rund 860 Flugzeuge der Typen A320 und A321 Neo im von "Pratt & Whitney" genannten Fehlerzeitraum zwischen Mitte 2015 und Mitte 2021 ausgeliefert wurden. Betroffen sind dieser Annäherung zufolge neben den bereits genannten Wizz Air und ANA aber vor allem der indische Marktführer Indigo sowie die bereits nach eigenen Angaben an den Triebwerksproblemen pleite gegangene Go First. Insgesamt fliegen allerdings rund 1400 Flugzeuge mit P1100-Motoren ausgestattete A320/A321 Neo. Wie viele Maschinen über die oben gelisteten Maschinen hinaus eventuell ebenfalls betroffen sein können, etwa weil sie zwischenzeitlich problembehaftete Ersatzteile verbaut bekommen haben, ist dabei nicht klar. Ohne interne Angaben ist das auch kaum nachzuvollziehen, was an vielen Faktoren liegt: Nicht in jedem Fall stimmt das Auslieferungsdatum der Flugzeuge mit dem Herstellungsdatum der Problemkomponenten überein. Zudem hängen an einem vor Jahren ausgelieferten Flugzeug nur noch selten die ursprünglichen Triebwerke. Stattdessen halten Airlines in der Regel zahlreiche Ersatztriebwerke auf Lager, um planmäßige Wartungszeiträume sowie kurzfristige Ausfälle überbrücken zu können. Die Dunkelziffer in der Tabelle ist also entsprechend hoch. In der Tabelle tauchen beispielsweise nur 39 Maschinen bei Lufthansa und fünf bei Swiss auf, die im fraglichen Zeitraum ausgeliefert wurden, also 44 Flugzeuge. Insgesamt fliegen derweil 64 Maschinen der zweistrahligen A320-Neo-Familie im Konzern. Lufthansa gibt aber an, dass 165 Triebwerke im Konzern betroffen sind. Lufthansa verfügt also in jedem Fall offenbar über recht viele Ersatztriebwerke. Doch egal, wie viele Maschinen letztlich genau betroffen sind – die Auswirkungen sind groß: Im Durchschnitt durften bei Lufthansa und Swiss im Jahr 2024 täglich die Kapazitäten von 20 Flugzeugen aufgrund der notwendigen Wartungen gefehlt haben. Milliarden als Schadenersatz zurückgestellt Auch wenn also nicht öffentlich ist, wie viele Flugzeuge das Grounding genau betrifft, eines ist klar: Für den Triebwerksbauer wird das richtig teuer. Insgesamt wird das Austauschprogramm sechs bis sieben Milliarden US-Dollar kosten, schätzt der "Pratt & Whitney"-Mutterkonzern RTX. Die Entschädigung der Airlines soll davon rund 80 Prozent der Kosten ausmachen, der Rest entfällt auf die Arbeit in den Werkstätten und auf das Material. <link-article id="70863" position="center" title="Wizz Air erwartet hohe Entschädigungszahlungen von "Pratt & Whitney""> Die deutsche MTU, die mit 18 Prozent am PW1000G-Programm beteiligt sind, schätzt, dass die Kosten den Umsatz im abgelaufenen Jahr um rund eine Milliarde Euro geschmälert haben. Aber es gibt auch Profiteure. Neben Leasinggebern, die nicht selbst betroffen sind und nun Flugzeuge als Ersatz stellen können, zählen dazu die Wartungsbetriebe wie Lufthansa Technik. Volle Auftragsbücher sind garantiert, auch in den Betrieben, die nicht direkt mit den Sonderinspektionen und mit dem Austausch der betroffenen "Pratt & Whitney"-Komponenten betraut sind. Denn in einem Markt, in dem es ohnehin an Kapazitäten mangelt, müssen die von den betroffenen Triebwerken belegten Zeiten für Wartungs-Slots schließlich andernorts erbracht werden. Grüße Frank Bearbeitet 28. Dezember 2024 von Frank Holly Lake ....... 1 1 Zitieren
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