VFR in IFR

[reverser]

Guten Abend allerseits: Ich habe ein altes Buch hervorgenommen, "Himmel, wo ist die Erde?", von einem Piloten namens Dieter Vogt.

Besonders fasziniert hat mich ein Kapitel, "Die Angstkurve - ein blamabler Blindflug". Als fliegerischer Laie habe ich so was natürlich nicht ansatzweise erlebt - die Beschreibung gab mir einen guten Eindruck. Ich zitiere hier einen Ausschnitt.

 

"Wolkenflug ist Blindflug. Der Flieger, der den Erdboden aus dem Auge verliert, hat kein Gefühl mehr für die Fluglage, er weiß nicht, wo oben und unten ist - die Sinnesorgane versagen glatt den Dienst. Er fliegt krampfhaft geradeaus. Aber plötzlich fällt er aus der Wolke und erkennt, dass sein Flugzeug auf dem Rücken liegt. Sofern er zu solchen Erkenntnissen noch Zeit hat. Man lernt dergleichen in der Flugschule. Aber man glaubt es erst, wenn man es selbst erlebt hat.

Wer nach Instrumenten fliegen kann, hat keine Probleme. Über den Blindflug schrieb Lindbergh: "Der Körper mss energisch darauf hingewiesen werden, daß jetzt der Verstand die uneingeschränkte Führung übernimmt. An Stelle des Instinkts führt von nun an die Logik den Oberbefehl. Fühlt der Körper, daß eine Flügelfläche fällt, und der Verstand sagt nein - weil Kugel und Nadel des Wendezeigers immer noch in der Mitte stehen -, so müssen die Muskeln sich dieser Entscheidung des Verstandes unterwerfen...Glaubt das Auge dort, wo es den Horizont vermutet, das Blinken eines Sterns zu erkennen; meldet das Ohr, der Motor laufe für Horizontalflüge zu langsam; sagen die Rückennerven, die Lehne des Sitzes drücke zu stark und der Druck nehme zu..., so haben Hände und Füße den Weisungen des Verstandes dennoch zu gehorchen."

Als ich über dem Westerwald in die Wolken flog, war ich theoretisch präpariert, aber praktisch aufgeschmissen.

Ich leitete vorsichtig eine Linkskurve ein, um auf Gegenkurs zu gehen; dorthin, wo der blaue Himmel nur mit Wölkchen gesprenkelt war. Der künstliche Horizont neigte sich. Der Kreiselkompaß begann seine Wanderung. Ausgezeichnet. In einer Minute würde der verschwundene Westerwald wieder auftauchen und die Harmlosigkeit meiner Verfehlung anzeigen. Wir saßen gespannt in der engen Kabine, in graues Licht getaucht, und warteten auf den Wiederaufgang der Sonne.

Aber dann kletterte der Fahrtmesser von 100 Knoten auf 110, auf 120, auf 125. "Ziehen!", sagte R. ganz ruhig. "Wir werden zu schnell." Ich zog am Steuerhorn. Offenbar waren wir in einem steilen Sinkflug. Aber der Fahrtmesser kletterte weiter, der Sitzdruck nahm zu, und das Rauschen der Luft klang anders als sonst, rumorend und bedrohlich. Dafür gab es keine Erklärung. Wir wechselten wieder einen Blick. Ich habe nachher überall erzählt, Kollege R. sei bleich und entgeistert gewesen. Er wiederum hat überall erzählt, ich sei bleich und entgeistert gewesen.

Fünf Sekunden lang wußten wir wirklich nicht, was los war. Die Maschine flog, aber sie war zu schnell und verlor an Höhe, obwohl ich das Steuerhorn fast am Bauch hatte. Der Zeiger des Variometers klebte am unteren Anschlag. Zum Glück hatten wir zwölfhundert Meter Höhe, also viel Zeit bis zur Ewigkeit, als das Flugzeug verrückt zu spielen begann. Zwölfhundert?

Ich sah auf den Höhenmesser, da waren's nur noch achthundert. Endlich, viel zu spät, kam der künstliche Horizont wieder ins Blickfeld. Er stand beinahe senkrecht. Oje! Ich flog die berüchtigte Angstkurve. Ein Anfängerfehler, den alle machen, die nie nach Instrumenten geflogen sind: Ich hatte im Kurvenflug die Querruder nicht zurückgenommen, sondern das Steuer wie ein Autofahrer links stehenlassen, und so war das Flugzeug immer mehr in die Querlage geraten - zuletzt in einen spiralförmig abwärts führenden Steilkreis. Mit einem Ruck am Steuer jagte ich die Todesangst aus der abwärts sausenden Kabine..."

 

...Sie sind dann doch noch heil runtergekommen.

Gruß Richard