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RayBan Story 2.0: Vom Flughafenzaun ins Airline-Cockpit


Tis

Empfohlene Beiträge

Lieber Markus,

Lieber Martin

 

Vielen herzlichen Dank für eure lieben Feedbacks! Es freut mich natürlich sehr, wenn diese virtuelle Reise eine spannende und unterhaltsame war, und ich möchte mich ganz herzlich für die guten Wünsche bedanken. Ja, ich bin sehr froh, dass mich mein "virus aviaticus" in diese Richtung angetrieben hat, und ich das Glück haben durfte, dass bis zum Ende alles geklappt hat - der "Enderfolg" eines solchen Unterfangens ist ja immer von vielen Variablen abhängig, von denen man nur einen Teil überhaupt selber steuern kann. Wenn sich nun das andere derzeit dominierende Virus mal langsam wieder aus dem Staub machen könnte, wären die Perspektiven sogar wieder gänzlich erfreulich und die Flugeinsätze etwas häufiger 😉 

 

Allerdings ist die Reise hier noch nicht ganz zu Ende, denn es folgen noch zwei weitere Teile 🙂 Und so legen wir doch gleich los mit:

 

 

 

11: Erstflug und Line Introduction: Die ersten Einsätze als Linienpilot
Gerade erst habe ich das erste Mal eine reale Embraer E190 gesteuert – im Landetraining in Épinal unter leicht vereinfachten Bedingungen (vgl. letzte Ausgabe). Nur wenige Tage später steht aber schon mein erster Ernsteinsatz bevor, mein erster Linienflug als Copilot.

 

Immerhin: Das Flugprogramm ist äusserst anfängerfreundlich: Ich wurde für einen nachmittäglichen Flug von Zürich nach Bremen und zurück eingeplant, den wir im Wetlease für Swiss durchführen. Mit einer Flugzeit von etwas über einer Stunde eine eher entspannte Sache, und auch die Destination ist nicht übermässig komplex. Zudem wird mir ein zweiter Copilot zur Seite gestellt, welcher mir vom Jumpseat aus jederzeit mit guten Tipps zur Seite steht und auch sicherstellt, dass von meiner Seite aus nichts Wichtiges vergessen geht. Natürlich ist aber auch der Captain ein erfahrener Ausbildner, ein sogenannter Line Training Commander (LTC). Übrigens ist mir auch Petrus gut gesinnt: Mitteleuropa geniesst an diesem Julitag die Vorzüge eines sommerlichen Hochdruckgebiets, auf der gesamten Strecke erwarten mich eitel Sonnenschein, kaum nennenswerte Winde und die Gewitterwahrscheinlichkeit tendiert gegen null.

 

Doch auch so gibt es genau so viel Vorbereitungsarbeit zu erledigen: Bereits zuhause gehe ich alle Statusmeldungen (NOTAM) der für die Flugstrecke relevanten (Ausweich-)Flughäfen durch, wo ich mich über geschlossene Pisten und Rollwege, suspendierte Anflugverfahren und allerlei andere Unzulänglichkeiten informiere. Dann mache ich eine detaillierte Treibstoffplanung, die dadurch verkompliziert wird, dass das Kerosin in Bremen wesentlich teurer ist als in Zürich. Daher möchten wir möglichst viel des edlen Gutes aus Zürich für den Rückflug mitnehmen – aber nur gerade so viel, dass wir nicht unser Maximalgewicht für die Landung in Bremen überschreiten. Schliesslich schaue ich auch noch die technischen Berichte über das Flugzeug an und blättere ein letztes Mal meine Notizen durch. Dann ist alle Vorbereitung abgeschlossen und der grosse Moment naht.

 

Zum ersten Mal schlüpfe ich in meine Uniform (den Krawattenknopf schön hinzukriegen dauert beinahe länger als die gesamte Flugplanung!), schnappe meinen bereits am Abend zuvor gepackten Crew-Koffer und mache mich auf den Weg zum Flughafen. Im Operations Center am Flughafen Zürich angekommen, werde ich von meiner heutigen Crew herzlich empfangen. Zuerst gehen wir Piloten untereinander die flugtechnischen Aspekte durch – und wie bei meiner Airline üblich, darf ich als Copilot wünschen, auf welcher Flugstrecke ich der fliegende Pilot (pilot flying) und auf welcher ich der assistierende Pilot (pilot monitoring) sein möchte. Meinem Wunsch, dass ich die Maschine gleich selber nach Bremen steuern möchte, wird gerne entsprochen. Daraufhin dislozieren wir Piloten zum Tisch, an welchem sich die aus drei Flight Attendants bestehende Kabinencrew eingefunden und bereits untereinander besprochen hat. Wir tauschen uns dann gemeinsam über einige Eckdaten der bevorstehenden Flüge aus: Technische Besonderheiten des Flugzeuges, Passagierzahlen, Wetter und Flugzeiten. Schliesslich gehen wir zusammen durch die Sicherheitskontrolle und werden per Minibus zum Flugzeug gebracht. Dann steht sie schliesslich vor mir: die wunderschöne Embraer E190 mit der wie auf mich zugeschnittenen Registration HB-JVT(is).  

 

 

High Noon auf den Hotel/India-Standplätzen während der Welle! 

 

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Spezielle Situation, routinierte Abläufe

Die Vorgänger-Crew, die uns den Flieger übergibt, war gar so nett, mir bereits den Flugcomputer mit der Flugroute nach Bremen zu programmieren. So kann ich mich relativ stressfrei ins Cockpit setzen, mich häuslich einrichten, alle eingegeben Daten überprüfen und weitere hinzufügen. Wie ich da so tippe, bemerke ich gar nicht, wie sich hinter mir allmählich die ganze Kabine mit Passagieren füllt. Doch im Cockpit fordern zu viele Dinge meine Aufmerksamkeit, als dass ich mir darüber Gedanken machen könnte: Ich diskutiere im Briefing mit dem Kapitän alle Eventualitäten des Starts, kommuniziere vor dem Triebwerksstart mit den Zürcher Fluglotsen, hantiere mit den Checklisten und spule fast schon routiniert all die Tätigkeiten ab, die mir in den vorangegangenen Simulatorstunden beigebracht wurden. Schliesslich erwecken wir die Triebwerke zum Leben und rollen wenig später zur nahe gelegenen Piste 28. Kaum dort angekommen, gilt es ernst: «Swiss 89K, Wind 250 degrees with 4 knots, Runway 28, cleared for take-off!» Ich lese die Starterlaubnis zurück, dann ertönt vom linken Sitz das Kommando «your controls»: Das Zeichen, dass der Kapitän mir die Flugsteuerung wie im Briefing besprochen übergibt und ich eigenhändig mit dem Start beginnen darf.

Ich schiebe die Schubhebel etwas nach vorne, warte bis sich die Triebwerke stabilisiert haben, und setze dann den zuvor berechneten Startschub. Von weit hinten höre ich die Triebwerke aufheulen, löse die Bremsen, und bemerke, wie die Maschine langsam – viel langsamer als beim Abflug mit leerem Flugzeug nach Épinal – Geschwindigkeit aufnimmt. «Rotate», ertönt schliesslich das Kommando von links. Ich ziehe am Steuerhorn, hebe langsam die Nase des Flugzeuges in die Höhe und richte sie in den blauen Abendhimmel. Das Rumpeln der über den Asphalt der Piste flitzenden Räder verstummt sogleich, als sämtliche 44 Tonnen unseres Flugzeuges den Boden verlassen haben und die Ruhe des Fliegens uns umgibt. Was für ein erhabenes Gefühl!

 

Zeit, der speziellen Situation grossartig Beachtung zu schenken, habe ich kaum. Jede Minute geschieht wieder etwas, das meine Aufmerksamkeit oder eine Reaktion erfordert. Doch alles läuft glatt, mein LTC und der Unterstützungs-Copilot sind mit meiner Arbeit ebenfalls zufrieden und nutzen den ereignislosen Flug, um mir viele Tipps mit auf den Weg zu geben. Eine gute halbe Stunde später haben wir schon Frankfurt überflogen und wir leiten – nein halt, ich muss mich kneifen: ich leite! – den Sinkflug ein. Bremen meldet sonniges Wetter bei leichtem Westwind und die Fluglotsen dirigieren uns in einen Anflug auf die Piste 27. Der Captain gibt mir nützliche Tipps zur Gestaltung des Sinkfluges und zum Management der Geschwindigkeit, und schon drehen wir auf das Instrumenten-Landesystem der Piste 27 ein – der Leitstrahl, der uns zur Piste führt. «Schalt doch den Autopiloten aus, dann fühlst du die Maschine besser», erklingt es von links. Angesichts des prächtigen norddeutschen Wetters eine formidable Idee! Ich tue wie geheissen und habe ein grosses Lächeln auf den Lippen, als ich die Embraer mit feinen Handbewegungen im unsichtbaren Landekorridor zielsicher der Piste entgegensteuere. Schliesslich zählt die Computerstimme des Radar-Höhenmessers einem Countdown gleich langsam dem Ziel entgegen: «200 Fuss», «100», «50», «30», «20». «Nun etwas hochziehen», kommt der wohlgemeinte Hinweis von links. Diesem folge ich etwas zu zaghaft, und so setzen wir relativ bestimmt auf der Bremer Landebahn auf. Doch das ist gar nicht mal verkehrt, denn übermässig lang ist diese nicht – da hilft uns ein etwas festerer Touchdown, mehr Energie zu absorbieren und schneller abzubremsen.

 

 

Mein erster Takeoff - schönerweise festgehalten von zwei langjährigen Wegbegleitern und FF-Urgesteinen

Merci @Trini_Tom

 

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Merci @Sales

 

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Lob der ersten Passagiere

Nach der sicheren Landung aktiviere ich den Umkehrschub und bringe das Flugzeug nach gut der Hälfte der Piste zum Stehen. Kaum haben wir die Rollbahn verlassen, erscheint auch schon der Follow-me-Wagen vor uns, der uns bis zu unserem Gate begleitet. Nachdem wir (übrigens überpünktlich!) dort angekommen sind, die Parkbremse gesetzt und die Triebwerke gestoppt haben, greift der Kapitän zum Mikrofon und informiert die Passagiere freudig, dass sie soeben Zeugen meines ersten Linienfluges geworden sind. Applaus entbrandet in der Kabine, wie mir die Flight Attendants später rapportieren – ich selber bin zu konzentriert, um das wahrzunehmen. Schliesslich bedeutet mir der Kapitän mit einer ausladenden Geste, ich solle nun die Passagiere verabschieden gehen – so, wie das bei uns für den Piloten üblich ist, der eine Strecke als «Pilot Flying» geflogen ist. Erst nun, da ich alle Fluggäste einzeln an mir vorbeigehen sehe, wird mir die überwältigende Dimension meines eben vollbrachten Unterfangens bewusst. Ich habe doch tatsächlich gerade eigenhändig ein Jet-Flugzeug auf einem Linienflug über ganz Deutschland hinweggesteuert und fast 100 Menschen sicher an ihr Ziel gebracht. Wow! Ein Umstand, den ganz offensichtlich auch meine ersten Fluggäste schätzen: Die allermeisten schenken mir beim Aussteigen ein Lachen, ein paar nette Worte, herzliche Glückwünsche, zwinkern mir wohlwollend zu oder klopfen mir gar väterlich auf die Schulter – und einer findet dabei mit norddeutscher Trockenheit, an der Sanftheit der Landung könne ich noch etwas arbeiten.

 

Nach dieser wunderschönen Begegnung mit meinen ersten Passagieren habe ich dank der relativ langen Bodenzeit von einer Stunde die Gelegenheit, mit meinem Kapitän einen extensiven Rundgang um die Maschine (Walkaround) zu absolvieren und viele Tipps von ihm zu erhalten. Euphorisiert steige ich zurück ins Cockpit und kann den abendlichen Rückflug in die Heimat richtig geniessen. Als «Pilot Monitoring» übernehme ich auf diesem Flug die assistierende Funktion; ich kontrolliere, dass der Captain alle Abläufe und Anweisungen sachgemäss umsetzt, lese die Checklisten und kommuniziere mit den Fluglotsen. Vor allem aber habe ich dabei viel Gelegenheit, um die fliegerischen Inputs des Kapitäns nachzuvollziehen und dabei viel Neues zu lernen. In schönster Abendstimmung steuern wir schliesslich Zürichs Piste 14 entgegen, in deren Anflugkorridor ich selber schon etliche Stunden fotografierend verbracht habe – nur, dass es nun plötzlich «mein» Flugzeug ist, das den zahlreichen Besuchern als Sujet dient.

 

 

 

Am «Ziel der Träume» angekommen 🙂 
(Bild entstand während einer Phase mit geringer Arbeitsbelastung während des Reiseflugs, während die Flugsteuerung dem Kapitän übergeben war) 

 

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Erster Anflug auf Zürich - merci, @Sales

 

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Passendes Ende für den gelungenen ersten Arbeitstag: Abendstimmung am Standplatz...

 

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...und aus dem Flughafen-Parkhaus, das vom liebgewonnenen Spotterplatz mittlerweile zum Teil des Arbeitswegs geworden ist 🙂 

 

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In 40 Flügen zum vollwertigen Copiloten

Dieser Erstflug war aber bloss der Auftakt zur nächsten Lernphase, der sogenannten «Line Introduction». Diese Einführungsphase, in der neue Piloten stets mit einem erfahrenen Trainingskapitän unterwegs sind, auf der Linie Erfahrungen sammeln und nach jedem Flug bewertet werden, umfasst bei meiner Airline 40 Flüge. Schon vier Tage nach meinem Erstflug folgt die nächste Rotation, diesmal nach Hannover. Wieder vier Tage später geht’s (fortan ohne unterstützenden Copiloten auf dem Jumpseat) schon in den ersten sogenannten «Nightstop»: Nach einer morgendlichen Rotation nach Manchester fliegen wir mittags nach Brüssel, wo wir den Rest des Tages frei haben und auch übernachten. Das ermöglicht es nicht nur, fremde Städte zu erkunden, sondern durch gemeinsame Freizeit-Aktivitäten werden auch die Bande innerhalb der Crew gestärkt und man lernt sich von einer anderen Seite kennen. Am nächsten Morgen geht es dann zurück nach Zürich, weiter nach Wien und wieder retour in die Schweiz. Und so wachse ich langsam in den normalen Airline-Betrieb rein, der bei meiner Airline meist von Flügen im Auftrag von Swiss geprägt ist. Am einen Tag geht es so zum Beispiel von Zürich nach Luxemburg und Berlin, am nächsten nach Stuttgart und Warschau, am dritten nach Mailand und Genf und am vierten nach Nürnberg und Madrid – und natürlich von überall auch wieder zurück in die Schweiz. Ganz besonders freue ich mich auf Line-Intro-Tag Nr. 6, der mich erst nach Florenz und später ins norwegische Bergen führt. Florenz ist aufgrund seiner Lage in einem Talkessel und seiner kurzen Piste besonders anspruchsvoll anzufliegen und darf bei unserer Airline für die Landung auch nur von Kapitänen angesteuert werden. Entsprechend beeindruckend ist auch mein erster Besuch dort. Trotz der anspruchsvollen Umgebung wird aber auch den jungen Copiloten das Vertrauen geschenkt, von Florenz aus starten zu dürfen, und nur zu gerne nehme ich diese Gelegenheit wahr. Und natürlich lasse ich es mir nicht nehmen und wünsche, dass ich auch auf Flug Nr. 3 dieses Tages der «Pilot Flying» sein und die Maschine eigenhändig in mein geliebtes Norwegen steuern darf. Der Anflug über die wunderschönen Fjordlandschaften bleibt ein unvergessliches Erlebnis!

 

Gut einen Monat nach meinem Erstflug habe ich meine erforderlichen 40 Flüge absolviert und meine Line Introduction damit beendet. Mittlerweile bin ich ab der Schweiz sternförmig in fast alle Ecken Europas geflogen, konnte auf jedem Flug viel lernen und meinen aviatischen Erfahrungsschatz um unzählige neue Eindrücke bereichern. Auf einem finalen Prüfungsflug («Line Check») nach Göteborg und zurück kontrolliert ein Experte der Airline, dass ich die Maschine korrekt bediene, alle Betriebsverfahren richtig anwende und auch im Team mit dem Kapitän harmoniere. All dies ist der Fall, und so bin ich nach diesen zwei Flügen schliesslich «released for line flying» – ich werde ermächtigt, fortan ohne die Aufsicht spezieller Ausbildungskapitäne als «normaler» Copilot den täglichen Betrieb zu bestreiten. Was ich dabei in meinem ersten Jahr auf der Linie erlebe, wird Inhalt der nächsten und letzten Ausgabe dieser jetstream-Serie sein. 

 

 

 

Die Topografie rund um Florenz mit dem nahegelegenen Monte Morello im Hintergrund macht den Betrieb am italienischen Flughafen besonders interessant. Das Foto entstand während dem langsamen Zurückrollen («Backtrack») auf Piste 05, um dann später in der Gegenrichtung auf Piste 23 vom Terrain weg zu starten

 

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Gleicher Tag, ein paar Stunden später: Willkommen in Bergen! Während die Fjordlandschaften im Anflug wunderschön zu sehen waren, machte Norwegens regenreichste Stadt ihrem bewölkten Image im kurzen Turnaround mal wieder alle Ehre 🙂 

 

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Sooo, und nun kommen wir tatsächlich zum letzten Beitrag dieser Serie. Ich hoffe sehr, dass euch diese gemeinsame Reise gefallen hat, und ich ein paar hoffentlich interessante Einblicke vermitteln konnte 🙂. Vielen Dank fürs regelmässige Lesen und das aktive Kommentieren, das hat mich sehr gefreut!

 

 

 

12: Das erste Jahr auf der Linie
Über die zwölf Ausgaben der Jetstream-Jahresserie habe ich mich vom flugbegeisterten Planespotter bis zu meinem Traumjob im Airline-Cockpit hochgearbeitet. Mit Abschluss der Line Introduction bin ich nun ein vollwertiger Copilot auf der Embraer E190. Über ein Jahr bin ich mittlerweile in dieser Funktion angestellt, durfte schon 38 verschiedene Flughäfen anfliegen, fast 300 Flüge absolvieren und 350 Stunden im Cockpit verbringen. Dass es nicht schon viel mehr sind, ist natürlich der Covid-19-Pandemie geschuldet. Dennoch durfte ich in meinem ersten Jahr auf der Linie zahlreiche schöne und spezielle Momente erleben, von denen ich im Folgenden ein paar Revue passieren lasse.
 
Gleich nach Abschluss der Line Introduction startet der Berufsalltag. Tags darauf zum Beispiel fliege ich von Zürich nach Bremen sowie nach Stuttgart und zurück. Die Hüpfer in die baden-württembergische Landeshauptstadt sind wegen ihrer kurzen Flugdauer von 20 bis 25 Minuten stets ein besonderes Vergnügen: Jede Minute des Fluges ist prall gefüllt mit Aufgaben fliegerischer, navigatorischer oder rechnerischer Art, was das Unterfangen äusserst kurzweilig macht. Wenn man als Cockpit-Crew dann noch gut harmoniert und Hand in Hand arbeitet, machen diese Stuttgart-Rotationen speziell viel Spass. Etwas länger ist der Flug, den ich am nächsten Tag antrete: Es geht ins spanische Bilbao, wo der Endanflug über einige Hügel hinweg in Richtung Meer führt. Zwar rauben mir tiefliegende Wolken die schöne Aussicht. Doch nur schon das Gefühl, zuerst mit Schweizer Fluglotsen zu sprechen, daraufhin mit ihren französischen Kollegen zu parlieren und schliesslich mit «Hola!» am Funk begrüsst zu werden, zaubert mir ein Lachen ins Gesicht. Zusammen mit der stets ändernden Landschaft unter mir komplettieren die gleichsam ändernden Akzente im Ohr das bereichernde Gefühl, dass ich nun in ganz Europa zuhause bin.


Ähnlich geht es mir, wenn ich Europa von der Schweiz aus nach Nordwesten befliege – in Richtung England. An wolkenlosen Morgen strahlen mir die weissen Klippen von Dover schon von weither entgegen und begeistern mich jedes Mal aufs Neue. Kaum hat uns der französische Fluglotse vor dem Ärmelkanal an seinen britischen Kollegen übergeben, beginnt dieser, uns virtuos durch das geschäftige Bienenhaus zu lotsen, dem der Luftraum über der Metropole London irgendwie gleicht. In diesem kulturellen und aviatischen Schmelztiegel höre ich oft ein bereicherndes Durcheinander an verschiedensten Akzenten auf der Funkfrequenz – alle eloquent dirigiert durch Stakkato-Wortsalven im noblen British English des Fluglotsen. Manchmal spuckt uns der Londoner Luftraum dann im Norden wieder aus und wir führen unsere Reise fort nach Birmingham oder Manchester, wo mich schöne Erinnerungen aus der Blütezeit meines Planespotting-Hobbys empfangen: Birmingham war damals das Ziel des weltweit letzten Passagierfluges der Douglas DC-10 von Biman Bangladesh Airlines, dem ich beiwohnen durfte. Und in Manchester schaute ich schon vor über zehn Jahren von der Terrasse des «Airport Pub» sehnsüchtig den Flugzeugen auf der nahegelegenen Piste 23R beim Starten und Landen zu. Dass ich nun beide Flughäfen regelmässig eigenhändig ansteuere, kann ich noch immer kaum glauben. Besonders liebgewonnen habe ich aber den Flughafen London City. Statt die Weltstadt nämlich nur zu überfliegen, tauchen wir bei Flügen dorthin mitten in diesen äusserst komplexen Luftraum ein. Gleichwohl führen uns die Fluglotsen von «Thames Radar» mit stoischer Ruhe und knackig-kurzen Anweisungen in schönstem Englisch durch dieses Gewusel. Besonders schön sind diese Flüge am Abend: Im Licht der untergehenden Sonne schimmern uns dann bald die Sumpflandschaften der Themsemündung entgegen, bevor wir dem Fluss landeinwärts folgen und uns von ihm mitten ins glitzernde Häusermeer der Metropole London führen lassen. Unweit entfernt entfalten die Wolkenkratzer des Finanzdistrikts in der Dämmerung eine Lichterpracht, die ihresgleichen sucht. Ein spektakulärer «Steep Approach» zur vergleichsweise schmalen und kurzen Piste des Flughafens London City, der wie ein Flugzeugträger in der Themse dümpelt, krönt dann das formidable Erlebnis.

 

 

Der Anflug auf die vergleichsweise kurze und schmale Landebahn von London City ist jedes Mal aufs Neue speziell, auch das Einparken am Boden ist Zentimeterarbeit.
Der Flughafen darf daher nur von speziell ausgebildeten Kapitänen angeflogen werden, auch die Starts sind Sache des Kapitäns (Foto entstanden als unbeteiligtes Crew-Mitglied auf dem Jumpseat, veröffentlicht mit Genehmigung).

 

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Rush-hour in London City - sowohl am Morgen wie auch am Abend ein Erlebnis! 

 

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33 Minuten Magie
London City ist übrigens gar die Destination, die ich am viertmeisten angeflogen bin. Die Spitzenplätze nehmen Stuttgart, Nürnberg und Mailand ein. Gewiss: Man könnte denken, dass auf solchen Strecken alles Routine ist. Doch jeder Flug ist anders, und vor allem anders schön. Genau dieser Aspekt, dass keine zwei Tage gleich sind, befeuert die Leidenschaft für die Fliegerei jeden Tag aufs Neue – auch wenn sie jetzt mein Beruf (oder doch die Berufung?) ist. So durchbrechen wir an einem trüben Januarabend nach dem Start von Zürich in Richtung Mailand alsbald die Nebeldecke und dringen in diese sagenhafte Welt vor, die den auf der Erde Gebliebenen verborgen bleibt: Das letzte Abendrot verabschiedet sich gerade in Richtung Westen. Unter uns liegt scheinbar sanft und weich das Nebelmeer, nur einzelne Hügelzüge kiebitzen unter dieser flauschigen Decke hervor. Am Horizont thronen stolz die silbern schimmernden, schneebedeckten Alpen, denen wir nun entgegensteigen. Während Jahrhunderten haben sie nicht nur Wasser und Wetter, sondern ganze Zivilisationen getrennt. Wurden nur von wenigen überquert und wenn, dann mit beträchtlicher Mühsal. Heute gehört die Alpenüberquerung fliegerisch zum täglichen Geschäft. Als wir die magische Höhengrenze von 14'000 Fuss (4'270 Meter) passieren – die gesetzliche Mindestflughöhe, die sicherstellt, dass uns kein Gipfel der Alpen mehr in die Quere kommen wird – wird das höchstens mit einem zufriedenen Zucken der Mundwinkel quittiert. Wir haben die Giganten also bereits überstiegen, mit einer Leichtigkeit, die ihnen kaum gerecht wird.


Bald breitet sich unter uns das Alpenrelief aus, welches uns im letzten Glanz des vergangenen Tages entgegenschimmert. Ich mache meine Passagieransage und weise die Fluggäste darauf hin, was für eine sagenhafte Aussicht sich gerade vor ihren Fenstern präsentiert. Viele werden wohl vor sich hindösen, die meisten werden mich wegen ihren Kopfhörern gar nicht erst wahrnehmen. Aber vielleicht kann ich ja dem einen oder anderen einen schönen Moment bescheren. Zahlreiche Reihen schneebedeckter Gipfel strecken sich uns nämlich entgegen, zerfurcht von dunklen Tälern mit beleuchteten Strassen – Lebensadern in einer wilden Gegend. Bei genauerem Hinschauen erkennt man an vielen der schneebedeckten Flanken orange blinkende Lichter – Pistenbullys, welche wie wir die Nacht zum Tag machen. Was für ein Anblick dutzender im Mondschein tanzender Glühwürmchen! Doch das alles beachten wir nur flüchtig, denn wir sind schon lange in die Anflugvorbereitungen für Mailand vertieft. Bereits gibt uns der Schweizer Fluglotse an den Mailänder Kollegen weiter. Auf der Frequenz höre ich die «Air Namibia 286» auf ihrem Weg von Frankfurt nach Windhoek – sie bringt einen Hauch der grossen weiten Welt in unser Cockpit eines Regional-Airliners und verleitet zum Träumen von fernen Ländern. «Swiss 1623, descend flight level 130» holt mich der Fluglotse aus meinen Gedanken. Wir dürfen absinken, die stolzen Alpen haben wir einmal mehr überquert. Auch das ist höchstens eine mentale Randnotiz, während wir gedanklich schon längst im Anflug auf das neblige Malpensa sind, die diesbezüglichen Berechnungen durchgeführt und die Briefings abgeschlossen haben.


Vor uns schimmert bereits das riesige Lichtermeer Mailands unter einer tiefen Wolkendecke hindurch. Mit zahlreichen Kurs-, Höhen- und Geschwindigkeits-Instruktionen führt uns der Fluglotse zwischen der Vueling aus Barcelona und der Air France aus Paris in den Anflug auf die Piste 35R. Die Scheinwerfer vor uns im Anflug befindlicher Flugzeuge, die eines nach dem andern aus der dunklen Nacht ins erleuchtete Nebelmeer eintauchen und entschwinden, ergeben ein faszinierendes Schauspiel. Schliesslich ergeht es uns nicht anders und auch wir steuern den Instrumenten und dem Funklandesystem folgend auf die Landepiste zu, die wir noch nicht sehen können. Beständig zählt der Höhenmesser dem Boden entgegen. «2500 Fuss». «2000 Fuss». «1500 Fuss». Tausend Fuss über Boden ist unser erster Entscheidungspunkt: Hier müssen alle Parameter wie Höhe, Geschwindigkeit, Kurs und Landekonfiguration stimmen, ansonsten müssten wir durchstarten. Es passt alles, wir dürfen weitersinken. Der nächste Entscheidungspunkt liegt bei 200 Fuss (60 Meter) über dem Boden: Spätestens dann müssen wir Sichtkontakt zur Piste haben, damit wir landen dürfen und nicht doch noch ein Durchstarte-Manöver folgt. «800», «700», «600». Nichts. Bei 500 Fuss ein kurzes «Checked» von der Kapitänin und mir – eine Prozedur, die uns, während wir beide konzentriert nach vorne starren (einer auf die Instrumente, einer nach draussen), gegenseitig versichert, dass beide Piloten weiterhin gesund und munter sind und das Geschehen genau verfolgen. Nur von der Piste ist noch immer nichts zu sehen. Der Nebel ist auf den Abend hin wohl dichter geworden. «400». Mental stelle ich mich schon auf den Go Around ein, den wir zehn Minuten zuvor – wie vor jeder Landung – auch gebrieft haben. Doch endlich kommen die ersten Lichter der Piste in Sicht. Die letzten Nebelschwaden verziehen sich just im richtigen Moment, vor mir erstrahlt wunderschön der Lichterbaum der Anflugbeleuchtung. «Continue», sage ich bei Passieren der 200-Fuss-Marke laut und deutlich, damit die Kapitänin weiss, dass ich die Landung fortsetzen und nicht etwa abbrechen möchte. Ein anspruchsvoller Moment folgt – der Wechsel des Fokus von den Instrumenten raus in die Wirklichkeit. Wenige Sekunden später starte ich das Abfangmanöver. Ziehe ein Kleinwenig zu fest am Steuerhorn, der leichte Rückenwind hilft auch nicht – die Landung gerät etwas lang, aber trotzdem noch weit innerhalb der Landezone. Sei’s drum. Den «perfekten Flug» gibt es nicht, das habe ich schnell gelernt – auch wenn ich ihn weiterhin jedes Mal anstrebe.  Nach der Landung schickt uns der Boden-Lotse zu Standplatz 554, wo schon der Einweiser, der Handling Agent und der ganze Rest der Abfertigungs-Armada warten. Ein feinsäuberlich synchronisiertes Orchesterspiel nimmt einmal mehr seinen Lauf. 33 Minuten nur waren wir in der Luft. Ein kurzer Hüpfer über die majestätischen Alpen, und nur einer von vier Flügen an diesem Tag. 33 Minuten, eigentlich vollgepackt mit Checklisten, Sicherheitsprozeduren, Berechnungen und Briefings. Doch es waren auch 33 Minuten voller magisch schöner Momente und prächtiger Ausblicke, gekrönt von einem anspruchsvollen Anflug als Abschluss. Und damit 33 Minuten, welche die faszinierende Vielfalt des Pilotenberufes perfekt repräsentieren. Welche Erlebnisse man davon mental speichert, hängt wohl davon ab, wofür das Herz schlägt und wofür der Blick geschärft ist. Doch mich begeistert dieser Beruf weiterhin auf jedem einzelnen Flug!

 

 

Einer dieser magischen Momente: Die Alpen in der winterlichen Abenddämmerung (Foto entstanden als unbeteiligtes Crew-Mitglied auf dem Jumpseat, veröffentlicht mit Genehmigung).

 

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Schon wenige Minuten nach dem Start in Zürich haben wir an diesem Januarmorgen die Hochnebeldecke durchbrochen und dürfen die beeindruckende Morgenstimmung auf uns wirken lassen (Foto entstanden als unbeteiligtes Crew-Mitglied auf dem Jumpseat, veröffentlicht mit Genehmigung).

 

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Die Alpen sind auch im Morgenlicht eine Augenweide! 
(Foto entstanden als unbeteiligtes Crew-Mitglied auf dem Jumpseat, veröffentlicht mit Genehmigung).

 

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Abwechslungsreicher Alltag
Natürlich bietet nicht jeder Flug immer alle Zutaten für solche Highlights. Oft versperrt uns das Wetter die schönsten Ausblicke – oder fordert uns dermassen, dass uns zum Geniessen derselben gar keine Zeit bleibt. Zwei Morgenflüge nach München und zurück können am einen Tag sehr idyllisch und entspannt sein – und am Tag darauf sehr anstrengend, wenn ein Sturmtief in die Region gezogen ist, dessen Fängen wir auf vier so kurzen Flügen kaum je entkommen und das uns permanent durchschüttelt. Sind vier längere Flüge am Tag geplant, können sich auch die Arbeitstage in die Länge ziehen: Für Flugpaare wie Manchester/Düsseldorf oder Hamburg/Warschau startet man oft um 07:30 Uhr in der Früh und ist nicht vor 15:30 Uhr in der Heimat zurück. Dass ich für so einen Abflug regelmässig um 4 Uhr aufstehen würde, war mir vorher nicht wirklich bewusst. Doch schliesslich will ich etwa anderthalb Stunden vor Abflug die Flugvorbereitung mit dem Kapitän beginnen. Und mein Anspruch an eine professionelle Arbeitsweise gebietet mir auch, dass ich mich davor zuhause schon eine Dreiviertelstunde lang detailliert mit den Flugunterlagen auseinandersetze, um zu wissen, was mich an diesem Tag am Himmel über Europa erwartet. Sich dafür am Vorabend um 21 Uhr ins Bett zu legen macht speziell im Sommer nicht immer Spass, aber gehört halt dazu. Einige solche Tage in Folge, gerade bei anspruchsvollen Rahmenbedingungen wie unbeständigem Wetter oder grossen Verspätungen, können schon kräftezehrend sein. Da ist es eine besonders grosse Freude, wenn man ein grossartiges Team um sich hat und sich mit dem Kapitän und auch der Kabinenbesatzung blendend versteht. Das ist zwar allermeistens der Fall, und doch gelingt es nicht immer, denn manchmal wollen unterschiedliche Charaktere einfach nicht so recht zusammenpassen. Doch genau dann kommt das hervorragende Training ins Spiel, das sicherstellt, dass man auch dann zielorientiert, sicher sowie Hand in Hand arbeiten kann, wenn man privat das Heu nicht auf der gleichen Bühne hat. Sich bei täglich frisch zusammengestellten Crews immer wieder von Neuem auf ein anderes Gegenüber einzustellen und zusammen mit ihm Höchstleistungen abzurufen ist ein weiterer Aspekt, der diesen Beruf bisweilen fordernd, aber auch sehr abwechslungsreich und erfüllend macht. Umso schöner ist es, sind wir bei meiner Airline ein eher kleines und familiäreres Pilotencorps – so arbeitet man häufiger mit bereits bekannten Personen zusammen und lernt sich noch besser kennen und schätzen.


Klarerweise ist der Wow-Faktor nicht mehr bei jedem Flug gleich gross wie zu Beginn. Doch es braucht auch da nicht viel: Eine feurig-orange Wolkendecke im Sonnenaufgang, der Bodensee im Abendlicht, oder das Überfliegen besonders pittoresker Landschaften – schon ist mir das Privileg, diesen speziellen Beruf ausüben zu dürfen, wieder voll bewusst. Auch andere Zückerchen wissen zu begeistern. Zum Beispiel, wenn während der Weihnachtszeit gleich drei Nürnberg-Nightstops im Dienstplan stehen, und ich dort nach getaner Arbeit in die magische Atmosphäre des Christkindlmarktes eintauchen kann – sei es mit der Crew, oder mit meiner Partnerin, die ich auch einmal mitnehmen konnte. Zudem habe ich das Glück, bei meiner Airline ein äusserst abwechslungsreiches Streckenportfolio vorzufinden. Auch wenn Flüge im Wetlease den Grossteil meines Dienstplans ausmachen, sorgen eigene Flüge immer wieder für Abwechslung. So ist die Stimmung an Bord eines samstäglichen Ferienfluges nach Olbia gleich eine ganz andere als auf einem Montagmorgenflug nach Berlin. Auch ins spektakulär gelegene nordmazedonische Ohrid führte mich schon ein Flug, und die von den umliegenden Bergen verwirbelten Sturmböen forderten mich ganz schön. Mit Florenz, London City, Bern und Sion haben wir zudem doch einige aussergewöhnliche Flughäfen im Portfolio. Spezielle Charterflüge würzen das Programm zusätzlich: So stand einmal ein Flug in die abgelegene marokkanische Oasenstadt Errachidia in meinem Dienstplan, von der ich noch nie zuvor gehört hatte. Doch leider verlor ich diesen speziellen Flug noch am Vortag, da er kurzfristig verschoben wurde und so einer neuen Crew zufiel – auch das gehört halt zum Chartergeschäft, und Flexibilität zum Pilotenberuf sowieso dazu. Dafür durfte ich unsere HB-JVQ anlässlich ihrer Ausserdienststellung auf einem Leerflug zur Grundüberholung nach Bratislava steuern und als letzter Pilot unserer Firma eine Landung mit ihr verbuchen.

 

 

Abschied von der HB-JVQ nach der erfolgreichen Überführung nach Bratislava. Heimwärts ging's mangels verfügbarer Linienflüge im konzerneigenen DA-42-Shuttle, landesübliche Corona-Protection inklusive 🙂 

 

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Hugi zu Füssen

 

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Wunderschöne Morgenstimmung auf dem Walk-Around in Nürnberg...

 

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...und etwas gespenstischere Ambiance an einem Wintermorgen in Zürich

 

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Covid-19 schlägt zu
Dieser Flug nach Bratislava im März 2020 sollte zugleich für mehrere Monate mein letzter sein, denn just da nahm die Covid-19-Pandemie die Welt und speziell die Luftfahrt in ihren langanhaltenden Würgegriff. Neun Monate nach meinem Erstflug hatte ich mich gerade so richtig im Cockpit eingelebt. Dann fielen die ersten Mailand-Nightstops weg, schliesslich alle Italien-Flüge, kurz später war mein gesamter Dienstplan leergefegt und die ganze Flotte unserer Airline stand am Boden. Ein äusserst trauriger Anblick, der jeden Tag aufs Neue schmerzte. Auch mit meiner weiteren Ausbildung machte Covid-19 kurzen Prozess, denn eigentlich hätte ich an dieser Stelle gerne über das Fluggefühl in unserem Flaggschiff, der brandneuen Embraer E2, berichtet. Doch das Virus kappte just an dem Tag alle Flugverbindungen, an dem ich nach Paris hätte fliegen sollen, um im dortigen Simulator die Umschulung auf dieses fantastische neue Arbeitsgerät abzuschliessen. Stattdessen konnte ich bereits während meines ersten Dienstjahres neben einer der grössten Blütezeiten der Fliegerei auch ihren wohl gravierendsten Tiefpunkt miterleben. Gewiss: Dass die Luftfahrt-Industrie stetigen Wellenbewegungen unterworfen ist, war mir seit jeher bewusst. Und doch: Als Direktbetroffener fühlt man sich ziemlich machtlos – speziell als Jungspund, der noch nicht lange dabei ist, und dessen «Marktwert» daher nicht gerade riesig ist. Doch auch diese Volatilität ist ein stetiger Teil der Fliegerei, mit dem es zu leben gilt – weswegen ich schon im ersten Teil dieser Serie dazu riet, vor der Pilotenausbildung auch noch ein zweites Standbein aufzubauen. Immerhin lehrt einem diese Wellenbewegung der Fliegerei neben Demut aber auch Optimismus, denn die Aviatik ist noch aus jeder Krise wieder auferstanden, und oftmals stärker als zuvor. Ebenso überzeugt bin ich, dass meine Airline dank modernen Regionaljets der neusten Generation und einem engagierten Team ihren Platz am Himmel hat – und auch, dass ich bei ihr meinen Platz gefunden habe, an dem ich mich sehr wohl fühle. Und so freue ich mich jeden Tag darauf, wenn ich wieder ins Cockpit steigen und meinem Traumberuf nachgehen darf.  


Denn auch wenn ich am eigentlichen Ziel meines Traums angekommen bin, den Alltag auf der Linie erleben durfte und Covid-19 dann mal kurz alles auf den Kopf gestellt hat: Die Leidenschaft zu fliegen ist ungebrochen. Und mit ihr die Lust, all die wunderschönen Momente zu erleben, welche die Fliegerei tagtäglich bietet. Ebenso ungebrochen ist die Lust zu lernen. Ich freue mich darauf, auf jedem Flug unzählige Erfahrungen zu sammeln – sei es mit neuen Flughäfen, fordernden Wetterlagen, fremden Fluglotsen oder speziellen An- und Abflugverfahren. Auch von den Kapitänen neben mir möchte ich mich weiterhin auf jedem Flug inspirieren lassen – und nicht nur ihre fliegerischen Fähigkeiten und Tipps übernehmen, sondern auch menschliche Führungsqualitäten, die mir zusagen. Denn ausgelernt hat man im Cockpit nie – und mit Tag eins auf dem Copiloten-Sitz startet auch gleichzeitig der informelle Kapitäns-Kurs. Durch diesen führt mich kein Lehrplan. Vielmehr bin ich selber dafür verantwortlich, mir in den folgenden Jahren all die fliegerischen und menschlichen Eigenschaften anzueignen, die mich dereinst hoffentlich zu einem fähigen und umsichtigen Kapitän machen werden, der für Passagiere, Crewmitglieder und die Firma gleichermassen eine Bereicherung ist. Und hoffentlich auch zu einem, der trotz Alltag und Routine stets empfänglich für die kleinen magischen Momente der Fliegerei bleibt. 

 

 

Die "Hotel-" und "India-"Standplätze in Zürich eignen sich auch besonders gut fürs Spotting - zum Beispiel, wenn man einen längeren Turnaround hat oder auf den Slot wartet 😄

 

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Flugvorbereitung für einen kurzen Hüpfer vom verregneten Zürich (grün/blau auf der Karte) über die Alpen ins sonnige Mailand. Bei unserer Airline läuft eigentlich fast die gesamte Flugplanung und -dokumentation elektronisch ab, was erfreulich effizientes und vernetztes Arbeiten erlaubt...

 

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Rustikale Einparkhilfe in Berlin-Tegel: Genau richtig steht man, wenn man vom Kapitänssitz exakt die Stirnseite der jeweiligen Farbtafel sieht - ausser, der Wind hat über Nacht mit ihr herumgespielt 😉 . Die aufgelisteten exotischen Flugzeugtypen wecken derweil nostalgische Erinnerungen...

 

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Weihnachten im Cockpit während des Turnarounds. Der "Spickzettel" am Yoke (v.a. als Callsign-Erinnerungs-Hilfe nützlich) ist so etwas wie das kleine Heiligtum jedes Piloten - jeder hat natürlich den besten, aber auf meinen bin ich wirklich etwas stolz 🙂 

 

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Zum Schluss noch etwas für GPS-Nerds wie mich: Flugspuren des ersten halben Jahres auf der Linie zeigen die von Zürich ausgehenden «Lebensadern» am Himmel.

 

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Bei genauerem Hinschauen erkennt man die zahlreichen bereits absolvierten Anflüge auf die "Hotspots" Luxemburg, Nürnberg, München, Mailand und Florenz...

 

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...und wenn man noch mehr hineinzoomt, bekommt man es mit den Zürcher An- und Abflügen sowie natürlich den Holdings zu tun 🙂

 

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  • 1 Jahr später...

Lieber Tis 

Das war ein Bericht, spannender als jeder Kriminalroman. Du hast deinen Traum verwirklicht und mit diesen Berichten konnte ich mal sehen, wie lange und aufwendig der Weg zum Linienpilot wirklich ist. Du hast uns alle mitgenommen und neben der Ausbildung auch noch die Zeit gefunden uns mit den Berichten zu fesseln (ich habe alles in einem Mal durchgelesen so spannend war das). Da kann man nicht genug danke sagen und da ich auch schon mit Helvetic geflogen bin und hoffentlich auch bald wieder mal mit euch fliege, sieht man sich vielleicht nach der Landung mal. Ich werde mir dann erlauben Dir persönlich zu gratulieren. Aber bis dann muss es hier schriftlich geschehen. Also herzliche Gratulation zu deinem Erfolg als Pilot und auch zu deiner wirklich hammermässigen, schriftstellerischen Leistung. Vielen Dank für's mitnehmen und heb Sorg

Herzliche Grüsse Rainer✈️

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Am 26.10.2022 um 19:15 schrieb Rainer Wibner:

Lieber Tis 

Das war ein Bericht, spannender als jeder Kriminalroman. Du hast deinen Traum verwirklicht und mit diesen Berichten konnte ich mal sehen, wie lange und aufwendig der Weg zum Linienpilot wirklich ist. Du hast uns alle mitgenommen und neben der Ausbildung auch noch die Zeit gefunden uns mit den Berichten zu fesseln (ich habe alles in einem Mal durchgelesen so spannend war das). Da kann man nicht genug danke sagen und da ich auch schon mit Helvetic geflogen bin und hoffentlich auch bald wieder mal mit euch fliege, sieht man sich vielleicht nach der Landung mal. Ich werde mir dann erlauben Dir persönlich zu gratulieren. Aber bis dann muss es hier schriftlich geschehen. Also herzliche Gratulation zu deinem Erfolg als Pilot und auch zu deiner wirklich hammermässigen, schriftstellerischen Leistung. Vielen Dank für's mitnehmen und heb Sorg

Herzliche Grüsse Rainer✈️

 

Lieber Rainer

 

Vielen Dank für deine netten Worte - das freut mich sehr! Ja, der Weg ist wirklich lang und teilweise anspruchsvoll - aber er lohnt sich definitiv 🙂 . Auch jetzt, wo wir wieder 100% arbeiten und die Arbeitswoche oft 5 und manchmal gar 6 lange Tage am Stück hat, gehe ich noch immer jeden Tag mit Freude Fliegen 🙂 

 

Liebi Grüess

 

Tis

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